Kopfschütteln über Özdemir

Grünen-Chef rudert nach seiner Kritik an den Doppelspitzen zurück / Reaktion auf Ablehnung in der eigenen Partei

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Cem Özdemir will seinen weiteren Aufstieg bei den Grünen vorbereiten. Doch dabei neigt er offenbar zur Selbstüberschätzung.

Nach den ersten kritischen Reaktionen aus der eigenen Partei auf seinen Vorstoß zu den Doppelspitzen der Grünen bemerkte Cem Özdemir offenbar, dass er nicht sonderlich klug gehandelt hatte. In den sozialen Netzwerken schrieb der Parteichef, dass es unzutreffend sei, aus seiner Analyse abzuleiten, dass er »die Abrissbirne an die Quote oder unser Frauenstatut ansetze«. Genau das hatten aber viele Parteikollegen, darunter die Ko-Vorsitzende Simone Peter und die frauenpolitische Sprecherin, Gesine Agena, aus dem Interview von Özdemir mit der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« gefolgert. Anders als Özdemir behauptet, hatten sie dafür durchaus gute Gründe. Der Grünen-Politiker hatte dem Blatt nämlich gesagt, dass die doppelte Doppelspitze es nicht leichter mache, »personelles Profil zu gewinnen und Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner zuzuspitzen«. Damit meinte er die Bundestagsfraktion und die Parteispitze, die von zwei Grünen geführt werden. Mindestens ein Platz muss jeweils von einer Frau besetzt werden.

Diese Regelung werde nicht geändert, teilte Simone Peter am Montag mit. Nach einer Vorstandssitzung, an der auch Özdemir teilnahm, erklärte sie die Debatte für beendet.

Einer der wenigen Unterstützer des Parteichefs, der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek, der ebenfalls dem Realo-Flügel zuzurechnen ist, hatte hingegen darauf hingewiesen, dass auch zahlreiche Landtagsfraktionen der Grünen von nur einem Vorsitzenden geführt werden. Dabei müsste ihm eigentlich klar sein, dass dies auch der weniger großen Bedeutung der Landtage im Vergleich zum Bundestag und der niedrigeren Zahl an Abgeordneten in den Landesparlamenten geschuldet ist.

Fraglich ist also, warum ein so erfahrener Politiker wie Özdemir eine Debatte angestoßen hat, bei der er nur verlieren konnte. Offenbar hat er seinen Einfluss bei den Grünen einfach überschätzt. Nach dem Rückzug von Jürgen Trittin vor etwa zwei Jahren ist ein Machtvakuum in der Partei entstanden. Seitdem wird das Spitzenpersonal der Grünen in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen als Politiker anderer Parteien. Nachdem sich Özdemir und sein Parteikollege, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, einige Wochen lang in der Politiker-Top-Ten-Liste des von der Forschungsgruppe Wahlen ermittelten Politbarometers halten konnten, finden sich dort inzwischen nur noch Vertreter von CDU, CSU, SPD und Linkspartei. Özdemir will dies ändern, indem die Grünen ihre Politik auf eine Person ausrichten.

Wer das aus seiner Sicht sein sollte, ist nicht schwer zu erraten. Özdemir sieht sich offenbar selber als künftigen Anführer der Grünen. Immerhin ist er seit sieben Jahren Parteivorsitzender und hat es bei der letzten Wahl auch in den Bundestag geschafft. Sein nächstes großes Ziel dürfte sein, im kommenden Wahlkampf Teil des Spitzenkandidatenduos zu werden. Darüber denkt Özdemir derzeit nach. Mit dem schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck, der angekündigt hat, sich an einer möglichen Spitzenkandidatenurwahl zu beteiligen, hätte er allerdings zumindest einen ernst zu nehmenden Konkurrenten.

Zunächst wird Özdemir abwarten, wie groß die Zustimmung bei seiner Wiederwahl als Vorsitzender bei einem Parteitag im Herbst sein wird. Zudem dürfte entscheidend sein, welchen Einfluss er auf die Programmatik nehmen kann. Nach seinen Vorstellungen sollen die Grünen wirtschaftsnäher werden und sich für eine Koalition mit der Union öffnen. Bei einigen Parteilinken stoßen diese Forderungen auf Widerstand. Ob Özdemir seinen Kurs trotzdem durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Mit seinem Vorstoß gegen die Doppelspitzen hat er jedenfalls keine neuen Unterstützer gewonnen.

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