»Wir machen notwendigen Ärger«

Andrew Boyd - Klassenclown mit Message - über professionellen kreativen Aktivismus

  • Lesedauer: 5 Min.

nd: Wo findet man Sie an einem normalen Wochentag? Bei einer Demo oder in einem Büro?
Boyd: Normale Tage gibt es bei mir nicht. Wenn ich zu Hause in den USA bin, bin ich ziemlich oft in einem Skype-Gespräch. Die Mitglieder des »Beautiful Trouble«-Netzwerkes leben über Nordamerika und die ganze Welt verstreut. Wir haben Leute in Vancouver, Toronto, Los Angeles, aber auch in Mexiko und Frankreich.

Was ist das für ein Netzwerk?
Wir sind vor allem Aktivisten und Trainer. Wir haben das Buch »Beautiful Trouble« herausgebracht, eine Art Toolbox für kreativen Aktivismus. Jetzt planen wir ein neues Buch, »Beautiful solutions«, in dem wir Projekte und Initiativen vorstellen, die sich für mehr Gerechtigkeit einsetzen oder diese selbst leben. Daneben haben wir ein Netzwerk von etwa 20 Aktionstrainern in den USA und vier in Europa. Keiner von ihnen arbeitet in Vollzeit. All das muss koordiniert werden.

Ein Training von zwei Stunden kostet bei Ihnen 1000 bis 1500 Dollar. Welche Basisorganisation soll sich das leisten können?
Wir bieten unsere Trainings manchmal kostenlos an, manchmal kosten sie eben Geld - je nachdem wer sie bucht. Wenn eine Universität mit einem großen Budget oder eine Gewerkschaft anfragt, dann lassen wir uns die Trainings bezahlen. Aber für Graswurzelgruppen wie Occupy oder die Empörten in Spanien sind die Trainings kostenlos, oder wir geben einen Hut herum, und jeder zahlt, so viel er kann.

Ihr vermittelt kreative Aktionsformen wie Kommunikationsguerilla und nennt dies alles »Beautiful Trouble«, also in etwa »schöner Ärger«. Wie sieht der aus?
Wir wollen keinen Ärger nur um des Ärgers Willen, sondern wir machen notwendigen Ärger. Deshalb sprechen wir von »schönem Ärger«. Der Begriff soll aber nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch unseren künstlerischen und politischen Ansatz vermitteln. Gemäß meinem Lebensmotto, das ich von Milan Kundera geklaut habe - wieso nicht das schwierigste Thema mit der größten Leichtigkeit beschreiben? - beschäftigen wir uns mit Unterdrückung, Ungerechtigkeit und dem Klimawandel, gehen damit aber auf eine Art um, als gehe es nicht um die ganz großen Themen. Oft bedienen wir uns dabei der Mittel der Werbeindustrie oder der PR-Strategen. Wir finden es klüger, die Medien nicht zu hassen, sondern selbst die Medien zu steuern, wie schon der Sänger und Aktivist Jello Biafra gesagt hat. Damit versuchen wir, die Machtverhältnisse auf den Kopf zu stellen. Häufig schlüpfen wir in fremde Kleider und geben uns als jemand anderes aus, als wir tatsächlich sind.

Wie zum Beispiel mit der Fake-Organisation »Billionaires for Bush«. Bush wurde gewählt - war die Aktion also ein Misserfolg?
Das kommt auf die Sichtweise an. Wir sind offensichtlich damit gescheitert, die Wiederwahl von Bush zu verhindern. Aber wir haben die Bewegung gegen Bush spaßiger gemacht. Und das ist schließlich eine der Aufgaben von kreativen Aktivisten: Den Mannschaftsgeist aufrecht zu erhalten. Wir waren die Klassenclowns, aber wir hatten auch eine Message, und die haben wir unters Volk gebracht - und in die Medien. Wir haben Bush mit dem Milliardärspinsel angestrichen und damit auf humorvolle und spielerische Art die Korruption in der amerikanischen Politik aufgezeigt. Zum einen, dass die Republikanische Partei nichts weiter ist als die Dienerin von Unternehmern und des großen Geldes. Zum anderen, dass unser Wahlsystem von unregulierten Kampagnengeldern korrumpiert wird. Das haben wir gemacht, indem wir die Mächtigen mit ihren eigenen Kommunikationsmitteln angegriffen haben, statt auf Pappmachépuppen und handgeschriebene Banner zu setzen.

Was ist falsch an handgeschriebenen Bannern?
Gar nichts. Sie zeugen von Authentizität. Man denkt sofort an Graswurzelorganisationen. Das ist vollkommen in Ordnung. Bei Occupy Wall Street ging es genau darum, sich als Bewegung »von unten« zu präsentieren, und deshalb war es genau richtig, dass alle ihre eigenen handgeschriebenen Schilder dabei hatten. Aber häufig macht es nach außen den Eindruck, als hätten diese Graswurzelorganisationen keine Ahnung von modernen Kommunikationsmitteln und werden deshalb nicht ernst genommen. Mit Billionaires for Bush mussten wir so tun, als seien wir Milliardäre, die die besten Werbeagenturen für sich arbeiten lassen. Also mussten unsere Banner auch entsprechend aussehen.

Erinnern Sie sich an Aktionen, die vollkommen in die Hose gegangen sind?
Da muss ich nachdenken ... Ich weiß, dass ich spektakuläre Misserfolge erlebt habe, aber mir fallen sie einfach nicht ein. Normalerweise werde ich nur nach meinen Erfolgen gefragt ... Okay, also: Während der zweiten Amtszeit von George W. Bush versuchten wir in einer großen Koalition mit Umweltorganisationen, die sechs größten Automobilproduzenten der USA davon zu überzeugen, kraftstoffeffizientere Autos zu bauen. Wir gründeten eine falsche staatliche Ölbehörde, besorgten uns Uniformen, trugen Sonnenbrillen und Hüte. Wir sahen aus wie eine Spezialeinheit der Polizei. Dann haben wir Strafzettel unter die Scheibenwischer von SUVs gesteckt. Außerdem sind wir zu Automessen gegangen und haben dort neue Autos, die genauso schlechte Motoren hatten wie die alten, mit Bändern abgegrenzt, sie quasi unter Quarantäne gestellt. Die Idee war eigentlich gut, aber irgendwie hat sie nicht funktioniert.

In Deutschland verlagert sich Protest vor allem größerer Organisationen immer mehr ins Internet. Ist das eine gute Entwicklung?
Klar, viele Hard-Core-Aktivisten rümpfen die Nase bei diesem Klicktivismus. Weil man dabei zu Hause in seinem sicheren kleinen Mittelschichtvorstadthaus an Onlinepetitionen teilnehmen kann, ohne sich selbst zu exponieren, Risiken einzugehen oder die eigenen Hände schmutzig zu machen. Ich denke aber, Klicktivismus ist wichtig, wenn auch nicht ausreichend. Die meisten Menschen haben viel zu tun, und es ist besser, wenn sie online eine Petition mitzeichnen, als dass sie gar nichts machen. Oft ist es ein erster Schritt: Viele Leute klicken eine Petition an, anschließend spenden sie Geld oder erzählen ihren Freunden davon oder gehen auf eine Demo. Vielleicht nehmen sie später sogar an einer Aktion zivilen Ungehorsams teil. Wir nennen das die »Leiter des Engagements«.

Was planen Sie als nächstes?
Ich war gerade in Paris, um eine Aktion für die Klimakonferenz Ende des Jahres vorzubereiten. Jetzt geht es nach Jordanien, wo ich mich mit Aktivisten treffen werde. Wir wollen unser Netzwerk vergrößern.

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