Als in Rottweil der Hexenwahn umging

Älteste Stadt in Baden-Württemberg will einst zu Unrecht Verurteilten ihre Würde zurückgeben

  • Kathrin Drinkuth, Rottweil
  • Lesedauer: 3 Min.
In Rottweil wurden im 16. und 17. Jahrhundert mindestens 266 Menschen als Hexen oder Zauberer hingerichtet. Die Stadt will sie nun rehabilitieren - aber geht das nach so langer Zeit überhaupt?

Die Liste der Opfer von Hexenverfolgungen in Rottweil (Baden-Württemberg) ist ebenso lang wie grausam: Margaretha Parnayer, verbrannt, steht darin. Wilhelm Zorn, gerädert, dann verbrannt. Agneta Petermann, ertränkt. Man könnte die Beispiele fortsetzen: In Rottweil wurden 115 Jahre lang - von 1546 bis 1661 - Menschen als Hexen oder Zauberer verfolgt. 287 Menschen gerieten in einen Hexenprozess, mindestens 266 wurden hingerichtet. Nun will die Stadt die Opfer moralisch und ethisch rehabilitieren. Aber geht das?

Theoretisch ja, heißt es in Rottweil. »Die Rehabilitation der unschuldig gequälten und hingerichteten Opfer der Hexen- und Zaubererverfolgung in Rottweil während des 16. und 17. Jahrhunderts ist ein Akt im Geiste der Erinnerung und Versöhnung«, schreibt der Gemeinderat in einem entsprechenden Beschluss. Das Gremium verurteile die Gewalt, gedenke der Opfer und gebe ihnen im Namen der Menschenrechte ihre Ehre zurück.

Praktisch bedeutet das: Die Stadt will eine Gedenktafel am historischen Rottweiler Hochturm anbringen. Es sei überliefert, dass das Gebäude damals als Gefängnis für die verfolgten Menschen gedient habe, sagt ein Stadtsprecher.

»Für moderne Menschen ist das schwer nachvollziehbar«, sagt Rainer Beck vom Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Konstanzer Universität. Viele Leute hätten eher die Einstellung: Was gehen uns die alten Geschichten an? »Der Punkt ist: Das muss man nicht machen, kann man aber. Und so weit weg in Urzeiten liegt das auch nicht.«

Rottweil ist nach eigenen Angaben die erste Stadt im Südwesten, die solche Schritte unternimmt. Ähnliche Vorgehen gab es dagegen unter anderem schon in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Thüringen. Im vergangenen Jahr folgte auch die Stadt Trier in Rheinland-Pfalz: Es sei »an der Zeit und ein Gebot der Menschlichkeit, sich von dem nicht ungeschehen zu machenden Unrecht öffentlich zu distanzieren«, teilte der Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD) damals mit. Mit einer Gedenkveranstaltung wurde in Trier den einst zu Unrecht Verurteilten gedacht.

Den Höhepunkt der großen abendländischen Hexenverfolgung datieren Historiker in die Jahrzehnte ab 1560 bis etwa 1630 - also bereits in der Frühen Neuzeit und nicht im Mittelalter, wie oftmals angenommen wird. Ziel der Verfolgungen sei die gerichtliche Ahndung eines Delikts gewesen, von dessen Realität alle Schichten der Bevölkerung überzeugt waren, schreibt der frühere Tübinger Wissenschaftler Sönke Lorenz in einem Essay mit dem Titel »Hexen und Hexenprozesse im deutschen Südwesten«: Den Verfolgten wurden Straftaten im Zusammenhang mit Zauberei vorgeworfen.

Folter sei damals ein fester Bestandteil des Strafverfahrens gewesen, schreibt Lorenz. »Und war erstmal der Gang in die Folterkammer angetreten, dann hatte der Beklagte kaum noch eine Chance, mit dem Leben davonzukommen.« Experten gehen von rund 25 000 Hinrichtungen in Deutschland aus - beziehungsweise in den Ländern auf dem Boden des heutigen Staates. Damit liegt Deutschland nach Angaben des Historikers Wolfgang Behringer europaweit an der Spitze, gefolgt von Polen und Litauen mit gemeinsam 10 000 Hinrichtungen.

Allerdings seien die Hexenverfolgungen kein Projekt der Kirchen gewesen, wie oftmals angenommen, sagt der Konstanzer Professor Beck. »Das waren fast immer weltliche Gerichte. Die Stadtväter hatten die Verantwortung und Gerichtsbarkeit.« Eine Rechtsnachfolge ergebe sich daraus für heutige Stadt- und Gemeinderäte jedoch nicht. »Damals gab es ein völlig anderes Recht.« Eine jetzige Rehabilitierung der Opfer könne daher nur symbolischen Charakter haben.

Ähnlich argumentiert der Rottweiler Gemeinderat. In seinem Beschluss schreibt das Gremium aber auch: »Wenngleich die Stadt Rottweil nicht Rechtsnachfolgerin der damals politisch und kirchlich Verantwortlichen ist, so besteht dennoch eine ethische Verpflichtung gegenüber den Opfern und ihren Familien.« dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal