nd-aktuell.de / 11.06.2015 / Kultur / Seite 16

Das rohe Leben

Doris Knecht: Wie Zuflucht zum Zuhause wird

Irmtraud Gutschke

Vielleicht findet sie ein paar Totentrompeten am Weg«, heißt es an einer Stelle im Text. Im Verlag suchte man nach einem Titelbild und entschied sich für bizarre Pilze, die in natura allerdings niemals so dicht beieinander wachsen würden. Auch hätte der Roman nicht »Wald« heißen müssen, »Feld« hätte ebenso gepasst. Oder (da lange Buchtitel derzeit in Mode sind): »Wie man einen Holzstoß schichtet, damit er nicht umfällt«. Das muss Marianne Malin, die seit ihrem Debüt als Modedesignerin Marian genannt werden will, nämlich lernen. Ebenso wie Brot backen, Fische fangen, Marmelade kochen, Gemüse anbauen. »Sie war immer ein fleißiges Mädchen gewesen … Sie hatte die Arbeit immer zuvorderst gestellt.« Aber mit ihrer Marian-Malin-Mode hatte sie nur kurzzeitig Erfolg gehabt. Plötzlich leisteten sich die Leute keine teuren Designerklamotten mehr, sie fiel in ein riesiges Schuldenloch.

Im Hintergrund des Romans wabern Ängste: vor der viel beredeten Finanzkrise und, insgeheim, vorm Älterwerden. Wie Doris Knecht sie bannt, das ist geschickt und auf hintersinnige Weise elegant. Hörte man nicht manchmal von Leuten, sie würden sich am liebsten ein Stück Land kaufen und Kartoffeln anbauen, um ihr Geld sicher anzulegen?

»Sie war raus aus dem System«, registriert Marian mit Befriedigung. Selbstversorgung - mit Marian erlebt man, dass und wie es geht. Schwierig, doch ein ererbtes Bauernhaus macht es möglich. Aber dieser eine Erzählstrang - Haferflockenbrei auf dem Holzfeuer gekocht usw. - ist der Autorin nicht ausreichend erschienen. Also mussten sehr, fast allzu ausführliche Rückblenden auf Marians früheres Leben beigemischt werden. Die Liebschaften mit Bruno und Oliver waren eine Enttäuschung, wie wohl auch manches andere allzu oberflächlich war. Klar. Nur, wie erzählt man mitreißend vom Oberflächlichen? Da ist man froh, wenn Doris Knecht wieder zum Erdgebundenen zurückkehrt. In geschmeidiger, fließender Sprache schildert sie Marians Verrichtungen - im Präsens, denn so sehr die Frau in den Vierzigern dem Vergangenen nachgrübelt, der Alltag zwingt sie in die Gegenwart.

Lesend erlebt man ein Lernen - nicht nur im Praktischen, das ist ja schwer genug, sondern auch im Geistigen, um aus einer Zuflucht ein Zuhause zu machen, aus einer Zweckbindung vielleicht sogar so etwas wie Liebe. Zurück in patriarchalische Verhältnisse hat es Marian in jenem österreichischen Dorf verschlagen. »Hur« hat jemand an ihre Tür gepinselt, und sie ist im Zweifel, ob es nicht doch zutreffend ist, weil der Grundbesitzer Franz immer ein Lebensmittelpaket abstellt, bevor er zu ihr in die Kammer kommt. Da ist auch die Autorin mit sich uneins gewesen, wodurch dieser Franz zu einem interessanten Charakter wird, der einen am Schluss sogar überraschen kann.

Ob man dem folgen will oder nicht: Der Roman lebt von der Besinnung auf Althergebrachtes. Eine verlässliche Basis, wenn alles rundherum ins Wanken gerät? Wobei Marian (oder sollen wir sie doch lieber Marianne nennen?) uns vor Augen führt, dass das Verlässliche im Menschen selber ist. Egal was geschieht, du hast die Kraft, wenn du nicht wehleidig bist. Wenn es mit dem derzeitigen Wohlstand mal nicht mehr so klappt, kommst du trotzdem durch. - Resignation und Zuversicht.

Doris Knecht: Wald. Roman. Rowohlt Berlin. 270 S., geb., 19,95 €.