nd-aktuell.de / 12.06.2015 / Politik

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Interview mit dem stellvertretenden griechischen Außenminister für internationale Wirtschaftsbeziehungen, Euklid Tsakalotos

Der stellvertretende griechische Außenminister für internationale Wirtschaftsbeziehungen, Euklid Tsakalotos (SYRIZA), redet über die Prioritäten der griechischen Außenpolitik und eine andere Wirtschaftspolitik.

Präsident Obama plädiert für einen neuen Kurs, fernab west- und nordeuropäischer Zwänge. Welche wären die Prioritäten der griechischen Außenpolitik?
Die USA verfolgen zwei Hauptziele: Das eine geht in Richtung der Fiskalunion und deren Zweckmäßigkeit, das andere zielt auf die Verantwortung der EU gegenüber der globalen Wirtschaft. Es wäre unvorstellbar, wenn die USA die »Lokomotive des Wachstums« bleiben und sich die Europäer dagegen nur für Überschüsse interessieren wurden. Das deutsche Wirtschaftsmodell ist ineffizient. Wir haben großes Verständnis für diese Kritik seitens der USA. Letztendlich schätzen die USA die These, ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone wurde die Konsistenz der Eurozone nicht beeinträchtigen, als grundsätzlich falsch ein. Die USA sind an einer stabilen Eurozone als Fiskalunion interessiert.

Welche Prioritäten setzen Sie im Rahmen der deutsch-griechischen Beziehungen, abgesehen von Tourismus?
Die allererste Innovation betrifft die Umstrukturierung des Außenministeriums mit der Einrichtung meines Ministeriums. Damit wollen wir diesen wichtigen Sektor der Wirtschaftsdiplomatie vom traditionellen Muster abkoppeln, das sich eher für Tourismus und Exporte interessiert. Wir beabsichtigen eine Zusammenarbeit mit anderen Ländern, besonders mit Deutschland aufgrund ihres Know-how im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen der Entwicklungstechnologie, der erneuerbaren Energien und Mulldeponien. Weiterhin ist eine Zusammenarbeit im Sektor innovativer Logistikern mit kleinen unabhängigen Unternehmen aus Griechenland, die zum ersten Mal überhaupt wahrgenommen werden, von Interesse.

[…] In den deutschen Medien war […] von Frust und Schwierigkeiten die Rede. Wie schätzen Sie die gegenwärtige Lage ein?
[…] Die Brüsseler Gruppe fühlt sich nach langjähriger Ausarbeitung des Memorandums logischerweise dazu verpflichtet, ihre Position zu verteidigen. Für sie stehen ideologische Standpunkte nicht zur Debatte, sie betrachtet den Fall aus einer quasi »existenziellen Sicht«, indem sie sich mit ihrem »Produkt« identifiziert. Wir dagegen haben eine andere Sichtweise, nämlich diese Verhandlungen von einem politischen Standpunkt aus zu fuhren. Für uns ist es eindeutig und klar: Die vorhandenen Probleme wurden bisweilen falsch angegangen.

[…] Wolfgang Münchhau1 verwies auf eine Unvereinbarkeit des »deutschen Wirtschaftsanalphabetismus[1]« mit dem »griechischen Diplomatieanalphabetismus[2]«. Gibt es einen Mittelweg?
Premierminister Tsipras hat versucht, diese Unstimmigkeit zu korrigieren, meiner Meinung nach trotz der Schwierigkeiten mit gewissem Erfolg. Eine davon betrifft die Schwierigkeiten zwischen der angelsächsischen und der deutschen Denkweise. Wir sind von Haus aus eher auf die angelsächsische Schule ausgerichtet, es geht also um Prinzipien, bei den Deutschen dagegen um Regeln und wie man diese befolgen muss. Das irritiert manchmal.

[…] Kann unter diesen Bedingungen von einer Wirtschaftsdiplomatie die Rede sein, wenn man die akuten Probleme der griechischen Wirtschaft[3] bedenkt?
Die griechische Regierung ist der Meinung, man sollte diesem Teufelskreis ein Ende setzen. Wir befinden uns in einer »Schuldenfalle«, wie Finanzminister Varoufakis öfters erwähnt hat. Wir bemühen uns, unsere Reformen einzuführen, v. a. die kurzfristigen, sodass sie sich zur Krisenbewältigung mittelfristigen Reformen anschließen, was Staatseinnahmen und –ausgaben betrifft. Werden wir unsere europäischen Partner in diesem Punkt überzeugen können, dann gewinnen wir den notwendigen »Fiskalraum« zugunsten des Staates und des Wirtschaftswachstums. […]

Herr Minister, wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Das Gespräch wurde im März 2015 in Athen geführt. Die Fragen stellten Prof. Alexandros-Andreas Kyrtsis und Kostas Kalfopoulos.
Das Interview erschien in WeltTrends[4] Nr. 103 (Mai 2015). Es steht auf den Seiten von WeltTrends kostenlos zur Verfügung.

Weiterlesen zum Thema
Darstellung der Anti-Syriza Kampagnen[5] auf EU-Ebene von Robert Minsk
Verschlimmerung der griechischen Volkswirtschaft durch die EU-Sparpolitik[6] von Sebastian Gechert und Ansgar Rannenberg

Links:

  1. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-angela-merkel-und-der-scherbenhaufen-ihrer-krisenpolitik-a-1015010.html
  2. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/giannis-varoufakis-fluch-der-eitelkeit-muenchau-kolumne-a-1023713.html
  3. http://www.flassbeck-economics.de/griechenland-als-wachstumssieger-zurueck-in-die-krise
  4. http://welttrends.de/heft-103/] »Athen auf neuen Kurs«
  5. http://derstandard.at/2000015932851/Ein-EU-Putsch-gegen-Griechenland
  6. http://blog.arbeit-wirtschaft.at/griechenland-konsolidierung