nd-aktuell.de / 16.06.2015 / Politik / Seite 13

Unterm Pflaster bellt und kräht es

Das »Bremer Loch«: Eine besondere Spendendose

Alice Bachmann, Bremen

Gerade als der zweijährige Lockenkopf Rayan am Gebäude des Bremer Landtags vorbei in Richtung Marktplatz galoppieren will, bremst er plötzlich ab, weil er Tiere schreien hört. Allerdings können zunächst weder der lebhafte Knirps noch seine Mutter ausmachen, von wo die Geräusche kommen. So wie den beiden geht es in der Bremer Innenstadt häufig Ortsfremden. Schließlich hört es sich tatsächlich so an, als käme aus dem Pflaster direkt neben der Bremischen Bürgerschaft Miauen, Bellen und das Schreien eines Esels und eines Hahnes.

Die Tierstimmen kommen gewissermaßen aus der Konserve. Unter einem Kanaldeckel der besonderen Art befindet sich eine kleine Grube, aus der die Tierlaute dringen. Damit wird genau das erreicht, was gewünscht ist: Menschen werden aufmerksam, suchen nach der Quelle der Schreie und entdecken so das »Bremer Loch«. Ein Gullydeckel mit Beschriftung und Schlitz zum Geld einwerfen.

Jedes Mal, wenn eine Münze - egal wie klein und aus welchem Land - durch den Schlitz geworfen wird, »antwortet« ein Tier aus dem Quartett der Bremer Stadtmusikanten. Deren Statue befindet sich ganz in der Nähe, ist vom »Bremer Loch« aus aber nicht zu sehen, was häufig bei Gästen der Stadt zu Irritationen führt.

Der Begriff »Bremer Loch« sorgt für Assoziationen zu den Finanzen des Bundeslandes, hat aber nur entfernt damit zu tun. Eigentlich handelt es sich schlicht um eine Spendensammelbüchse. Die Tatsache, dass nach jedem Münzeinwurf ein Tier zu antworten scheint, verführt zum fleißigen Spenden. Auch Rayans Mutter greift zum Portemonnaie und ist froh, reichlich Kleingeld dabei zu haben.

Vor sieben Jahren ließ die »Wilhelm Kaisen Bürgerhilfe« (WKB) diese Spendendose neben der Bürgerschaft installieren. Ein ehrenamtlicher Spendenwart leert das »Bremer Loch« regelmäßig und pflegt es, reinigt zum Beispiel den Schlitz, falls er verstopft ist. Einmal im Jahr wird Kassensturz gemacht. Dabei kommen bis zu 15 000 Euro zusammen; in diesem Jahr waren es 13 000 Euro. Darin enthalten ist der Wert ausländischer Münzen, die in der Bremer Landeszentralbank eingewechselt werden.

Der gebürtige Hamburger und überzeugte Sozialdemokrat, Wilhelm Kaisen, war in Bremen von 1928 bis 1933 Wohlfahrtssenator. Den Faschismus überlebten seine Familie und er, indem sie in eine bäuerliche Randgemeinde Bremens zogen, dort Landwirtschaft betrieben und in Deckung blieben. Nach der Befreiung Bremens holte die amerikanische Besatzungsmacht Wilhelm Kaisen zurück in die Politik und ernannte ihn zum Bremer Bürgermeister und Vorsteher des Bremer Landtags. Kaisen gehörte dem Bremer Senat 20 Jahre lang an. Gleich nach Kriegsende initiierte er die Gründung der »Bremer Volkshilfe« durch den Senat. Vor 20 Jahren wurde die »Volkshilfe« in »Wilhelm Kaisen Bürgerhilfe« umbenannt.

Das Aufgabenfeld der WKB hat sich im Laufe ihres bisher 70-jährigen Bestehens nicht groß geändert. Zunächst ging es um Hilfe für Notleidende in der Nachkriegszeit, danach wurden Projekte für Einkommensschwache unterstützt und in diesem Jahr fließt wieder ein Teil der Spenden aus dem »Bremer Loch« in Projekte für Flüchtlinge, die in der Hansestadt leben. Zu den begünstigten Verbänden gehören neben dem Roten Kreuz und der Arbeiterwohlfahrt auch religiös orientierte Hilfsorganisationen. Der Inhalt der Spendendose unter dem Pflaster macht nur einen sehr kleinen Teil der WKB-Spendeneinnahmen aus.