nd-aktuell.de / 18.06.2015 / Der Heppenheimer Hiob

Generalstreik, damit die Chefetagen aufwachen

Roberto J. De Lapuente
Endlich traut man sich in diesem Land wieder rücksichtsloser zu streiken. Ob bei der Bahn, in Kindergärten oder bei der Post: Man wagt wieder Ausstände, um seine Interessen durchzuboxen. Aber so richtig beeindrucken lassen sich die Arbeitgeber nicht. Ein Generalstreik wäre jetzt nötig.

Es fühlt sich ein bisschen so an, als seien viele Jahre ins Land gegangen ohne Streik. Klar, es gab immer wieder mal Streiks zwischendurch. Aber so geballt wie augenblicklich kamen sie uns nicht ins Bewusstsein. Jetzt schwillt die Streikmoral an. Es scheint wieder eine Selbstwahrnehmung von Arbeitnehmern zu geben. Endlich. Man streikt wieder rücksichtsloser und uneingeschränkt. Das war in den Jahren zuvor noch anders. Da blickte man immer genau darauf, dass der volkswirtschaftliche Schaden nicht allzu hoch ausfällt. Mit dieser Streikmoral war aber nicht zu punkten. Möglich, dass auch die Gewerkschaft der Lokomotivführer Beispiel war, dass jetzt auch ver.di mit mehr Engagement in den Arbeitskampf geht. Zugeben werden sie es nicht. Aber einerlei - dass nun endlich wieder gewerkschaftliche Stärke gezeigt wird, ist keine schlechte Entwicklung.

Schlecht an der ganzen Geschichte ist aber, dass sich die Arbeitgeber wenig beeindruckt fühlen. Sie diktieren in Zeitungen, die ihrer Leitlinie folgen, dass der neue Streikwahnsinn nur Wachstum und Wohlstand gefährde und daher höchst unvernünftig sei. In den Kommentarspalten halten sie sich Knechte, die ihren Kurs gegen die Arbeitnehmer in hübsche Worte kleiden und die Meinung in diesem Lande stark beeinflussen. Die neu zum Leben erwachte Streiklaune jedoch kümmert sie wenig. Sie knicken nicht ein, machen auf stur und sitzen aus. Kein Wunder, die Herrschaften sind ordentlich verwöhnt. Jahrelang haben sie alles bekommen, was sie wollten: Lohnzurückhaltung, devote Belegschaften und gewerkschaftliche Gegenspieler, die sich im Sinne von ökonomischer Vernunft zurückhielten. Dass es jetzt eine kleine Renaissance dieser antiquierten Einrichtung namens Streik gibt, ist für sie schier unverständlich und sie belächeln den Kurs lieber, als dass sie die Wut vieler Arbeitnehmer in dieser Republik endlich ernst nehmen würden.

Dass dem so ist, zeigt doch letzthin nur, wie es um die Teilhabe hierzulande bestellt ist. Es gibt Unmengen von Menschen, die sich unterbezahlt und ausgebeutet fühlen – und es auch sind. Bei der Bahn, im öffentlichen Dienst, bei der Post oder bei Online-Versandhändlern. Das dürfte wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges sein. Unzählige arbeiten für Niedriglöhne und sind leider nicht gewerkschaftlich organisiert. Andere haben zwei oder drei Jobs. Sie hätten gar keine Zeit, sich zu organisieren. Geschweige denn die finanziellen Mittel, um sich einen Monatsbeitrag leisten zu können.

Die Streiks der Stunde sind wesentlich mehr als Streiks. Sie spiegeln das Klima wider, in dem wir uns befinden. Und die Arroganz der Arbeitgeber lehrt uns, dass es mit individuellen Streiks nicht getan sein kann gegen diese Arroganz der Mächtigen. Ein Generalstreik ist das Gebot gegen die anti-gewerkschaftliche Konstitution, mit der die Mächtigen dieses Land regieren. Aufhören mit allem, für eine Zeit lang die Pflichten als Bürger der Deutschland AG aufgeben und sich nur Rechte herausnehmen, um denen in den Chefetagen und ihren Lohnschreibern deutlich zu machen, dass es so nicht weitergehen kann: Das täte uns jetzt gut. Um denen nachhaltig klar zu machen: Ihr hattet euren Spaß, euren Reibach, euren Wohlstand auf unsere Kosten – aber jetzt ist es aus, jetzt steht wieder Teilhabe auf der Agenda, höhere Löhne, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, eben alles, wofür Arbeitskämpfe so stehen.

Klar scheint doch zu sein, dass Deutschland nicht funktioniert für alle. Die Unzufriedenheit ist groß. Und exakt das ist die Grundlage für einen Generalstreik, der »die da oben« aufwachen lässt. Nein, ihr könnt euch nicht überheblich zurückziehen und Gewerkschaften als altmodisch abtun, weitermachen wie eh und je und auf eine Sozialpartnerschaft verweisen, in der ihr als Paternalisten und Gönner auftretet und diktiert. Euer Spiel ist aus. Unseres beginnt. Jedenfalls wäre das mal schön.