nd-aktuell.de / 25.06.2015 / Gesund leben / Seite 10

Hochsaison für Blutsauger

Robert Koch-Institut warnt: Zahl der Zecken-Risikogebiete in Deutschland ist weiter gestiegen

Martin Koch
Früher fürchtete man im Wald vor allem große Tiere: Wolf, Wildschwein, Fuchs. Heute sind es winzige Parasiten, die uns vielerorts bedrohen: Zecken. Ihr Stich kann für Menschen lebensbedrohlich sein.

Es war ein schöner Sommertag im Juni 2006. Um sich zu entspannen, ging die 43-jährige Hotelbetreiberin Evelyn Bachmann mit ihrem Hund im Wald spazieren - bekleidet nur mit T-Shirt und kurzer Hose. Zwar wusste sie, dass in der unterfränkischen Region, in der sie lebt, Zecken den Erreger der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) übertragen können. Geimpft gegen die gefürchtete Krankheit war sie jedoch nicht. »Wie viele meiner Bekannten hatte ich gedacht, dass eine Impfung nicht nötig sei, wenn ich bestimmte Vorsichtsmaßnahmen beachte, beispielsweise auf den Wegen bleibe und nicht durchs hohe Gras gehe.«

Dennoch entdeckte sie auf dem Heimweg plötzlich einen schwarzen Punkt auf der Wade. Sofort erkannte sie: eine Zecke! Mit einer raschen Handbewegung wischte sie das Spinnentier weg, das sich, wie sie meinte, »noch nicht einmal festgebissen hatte«. Für Bachmann schien die Sache damit erledigt, denn sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ein solch kurzer Kontakt mit einer Zecke genügen würde, um sich mit dem FSME-Virus zu infizieren.

Einige Tage später bekam sie Kopfschmerzen. Vermutlich eine Sommergrippe, dachte sie. Doch ihr Zustand verschlechterte sich rapide: »Ich konnte kaum laufen, nicht richtig sprechen, keine Gedanken fassen.« Mit dem Rettungswagen kam sie in die Klinik, wo Ärzte eine Hirnhautentzündung diagnostizierten. Mehrere Wochen wurde sie stationär behandelt, allein ihre Genesung zog sich hin. Nur langsam lernte Bachmann wieder laufen und sprechen. Nach ihrer Entlassung aus der Klinik absolvierte sie eine Reha und konsultierte einen Heilpraktiker. »Ich hatte einfach Angst, dass ich mich nicht erhole«, erzählte sie später. »Wenn mein Immunsystem nicht stark genug gewesen wäre, wäre ich jetzt tot.« Noch heute spürt Evelyn Bachmann, die inzwischen ein FSME-Netzwerk in Bayern leitet, die Nachwirkungen der Infektion. Sie ist schnell erschöpft und muss bei der Arbeit öfter mal eine Pause einlegen. Dabei hätte alles noch schlimmer kommen können. Denn andere FSME-Patienten leiden in der Folge unter Lähmungen oder epileptischen Anfällen. Manche sind sogar auf den Rollstuhl angewiesen.

In Deutschland erkranken jedes Jahr mehrere hundert Personen an FSME. Allerdings unterliegen die Zahlen erheblichen Schwankungen. 2006 zum Beispiel wurden 546 Fälle gemeldet, im Jahr darauf waren es »nur« noch 238. Zu einem deutlichen Anstieg kam es 2013. In diesem Jahr erkrankten 420 Menschen. 2014 sank die Zahl wieder auf 265.

Anders als Lyme-Borreliose - eine ebenfalls durch Zecken übertragene Infektionskrankheit - kommt Frühsommer-Meningoenzephalitis nur in bestimmten Regionen Deutschlands vor. Am stärksten betroffen sind die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland. Aber auch in Rheinland-Pfalz, Thüringen und Hessen besteht in einigen südlichen Landkreisen ein relativ hohes Infektionsrisiko. Nach den Richtlinien des Robert Koch-Instituts (RKI) gilt ein Land- oder Stadtkreis dann als Risikogebiet, wenn dort innerhalb von fünf Jahren mehr als ein FSME-Fall pro 100 000 Einwohner gemeldet wurde. Zwar trifft das auf die nördlichen Bundesländer bislang nicht zu. Dennoch blieben auch diese von der Krankheit nicht gänzlich verschont. Zwischen 2002 und 2013 wurden insgesamt 68 FSME-Fälle registriert. Das heißt: Besonders während der Zeckensaison, die von März bis Oktober reicht, sollte bei entsprechender Symptomatik auch im Norden Deutschlands eine Frühsommer-Meningoenzephalitis in Erwägung gezogen werden.

Die Grenzen der FSME-Risikogebiete können sich von Jahr zu Jahr verschieben, abhängig davon, wie weit das Virus vordringt. Nach einem jetzt veröffentlichten Bericht des RKI ist die Zahl der gefährdeten Regionen in Deutschland von 142 auf 145 gestiegen. Hinzugekommen sind die Landkreise Ostallgäu in Bayern und Greiz in Thüringen sowie der Stadtkreis Hof in Bayern.

»Menschen, die in Risikogebieten leben oder arbeiten und Kontakt zu Zecken haben könnten, sollten sich impfen lassen. Das Gleiche gilt für alle, die dorthin reisen und sich in freier Natur aufhalten«, sagt Ole Wichmann, Leiter des RKI-Fachbereichs Impfprävention. Eine Impfung ist aber auch bei Auslandsreisen empfehlenswert, vor allem wenn deren Ziel in Osteuropa, China oder der Mongolei liegt. Aus diesen Regionen werden Infektionen mit hohen Komplikationsraten gemeldet. In Frankreich, Italien, Dänemark und Griechenland kommt FSME dagegen nur selten vor. Keine Ansteckungsgefahr besteht in Spanien und Portugal, in Großbritannien sowie den Benelux-Staaten.

Zecken leben zumeist im hohen Gras, in Büschen sowie im Unterholz des Waldes. Wer bei Spaziergängen dort häufig unterwegs ist, sollte unbedingt geschlossene Kleidung und festes Schuhwerk tragen. Und das nicht nur in FSME-Risikogebieten. Denn wie bereits erwähnt, besteht praktisch in ganz Deutschland überdies die Gefahr einer Borreliose-Infektion durch Zecken. Hat man sich dennoch einen der gefürchteten Mini-Vampire eingefangen, ist es wichtig, ihn sachgerecht zu entfernen. Wie das geht, erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Man greift die Zecke im Kopfbereich mit einer Pinzette knapp über der menschlichen Haut und zieht sie langsam heraus. Dabei darf das Tier weder gedreht noch gequetscht werden, weil sonst mehr Zeckenspeichel in die Wunde gelangt. Zuletzt ist die Einstichstelle zu desinfizieren. Mitunter wird empfohlen, Öl, Nagellack oder Klebstoff auf die Zecke zu träufeln. Die BZgA rät davon jedoch ausdrücklich ab, da auch dies die Speichelabsonderung verstärkt. Häufig reißt beim Entfernen einer Zecke deren Kopf ab und bleibt in der Haut stecken. Wenn das passiert, sollte man vorsorglich einen Arzt aufsuchen.

Grund zur Panik besteht bei alldem jedoch nicht. Denn selbst in den ausgewiesenen Risikogebieten tragen nur 0,1 bis 5 Prozent aller Zecken das FSME-Virus in sich. Außerdem erkrankt nicht jeder Mensch, der von einer infizierten Zecke gestochen wird, zwangsläufig an einer Frühsommer-Meningoenzephalitis. Nur etwa 30 Prozent der Infizierten entwickeln grippeähnliche Symptome, die nach wenigen Tagen wieder abklingen. Bei einem von zehn Infizierten jedoch kommt es nach einer kurzen Besserung zu schweren Schädigungen des Nervensystems. Allerdings weiß niemand im Voraus, zu welcher Gruppe von Patienten er letztlich gehören wird. Schon deshalb lohnt sich eine vorbeugende Impfung. Sie bietet für mindestens drei Jahre einen sicheren Schutz vor dem FSME-Erreger und ist für Erwachsene und Kinder gut verträglich. Eine vollständige Grundimmunisierung erfordert drei Injektionen. Die Kosten dafür werden in der Regel von den Krankenkassen übernommen.