»Die Wut ist riesengroß«

Ver.di-Basis kritisiert Schlichtungsergebnis für Sozial- und Erziehungsdienste

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Dafür haben wir gestreikt? Nach dem Schlichterspruch im Tarifkonflikt der Sozial- und Erziehungsdienste sind viele Gewerkschaftsmitglieder gewillt, die Auseinandersetzung weiterzuführen.

Auch wenn zunächst keine neuen Streiks geplant sind, geht der Tarifkonflikt für die Sozial- und Erziehungsdienste weiter. Nachdem der von den Schlichtern am Dienstag vorgelegte Kompromissvorschlag bei vielen Gewerkschaftsaktivisten auf Ablehnung gestoßen war, ist eine rasche Verhandlungslösung nicht in Sicht.

Am Freitag gab die zuständige Bundestarifkommission der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nach nd-Informationen grünes Licht für die Einleitung einer »aufsuchenden Mitgliederbefragung« in denjenigen Betrieben, die bis zur Aussetzung des Streiks Anfang Juni am Arbeitskampf beteiligt waren. Die Ergebnisse der Auszählung sollen dann Anfang August in einer bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz und schließlich in der Bundestarifkommission erneut beraten werden. Für den 13. August ist eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen ver.di und dem Kommunalen Arbeitgeberverband (VKA) vorgesehen.

Während der VKA nach Aussage seines Präsidenten Thomas Böhle »jederzeit bereit« sei, den Schlichterspruch als Tarifabschluss zu unterschreiben, rumort es an der Gewerkschaftsbasis. Vor dem Hintergrund eines eindrucksvollen vierwöchigen bundesweiten Streiks, der erstmals auch ländliche Gebiete erfasst hatte und Anfang Juni nach der Anrufung der Schlichtung durch den VKA überraschend ausgesetzt worden war, betrachten viele Gewerkschaftsaktivisten das vorliegende Schlichtungsergebnis als unzureichend. »Die Wut ist riesengroß«, beschrieb ein Teilnehmer der bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz von ver.di am Mittwoch in Frankfurt am Main auf nd-Anfrage die Stimmung. Ver.di-Chef Frank Bsirske, Verhandlungsführer Achim Meerkamp und andere ver.di-Vertreter in der Schlichtungskommission hätten »sichtliche Mühe gehabt, den Anwesenden das Schlichtungsergebnis nahe zu bringen«. Angesichts der Tatsache, dass die VKA-Vertreter »keinerlei Interesse an einer Aufwertung haben«, hätten die beiden Schlichter lediglich »ein paar Brosamen herausgeholt«, so ein Teilnehmer.

Bei der Konferenz berichteten dem Vernehmen nach Vertreter des Landesbezirks Niedersachsen-Bremen, dass das Ergebnis bei vier dezentralen Versammlungen am Vorabend mit fast 1200 Anwesenden überwiegend abgelehnt worden sei. Ähnliche Stimmungsbilder hätten auch Delegierte aus anderen Bundesländern vermittelt. Bei der sehr lebhaften Aussprache habe sich eine Mehrheit klar gegen das Schlichtungsergebnis ausgesprochen und damit die Gewerkschaftsspitze erheblich unter Druck gesetzt. »Es war eine sehr emotional geführte Debatte und die Nerven lagen teilweise blank«, so ein Augenzeugenbericht. Aussagen wie »Dafür haben wir nicht vier Wochen gestreikt« und »Lieber gar kein Tarifvertrag als dieser«, seien der Grundtenor vieler Redebeiträge gewesen.

Etliche hätten sich für eine sofortige Fortsetzung des Streiks und einen demonstrativen Schulterschluss mit den Streikenden bei der Deutschen Post und der Berliner Charité ausgesprochen. Auf besondere Kritik seien auch die im Schlichterspruch vorgesehene fünfjährige Laufzeit und die Tatsache gestoßen, dass für Sozialarbeiter keine reale Verbesserung vorgesehen sei. Dabei hätten viele jüngere Angehörige dieser Berufsgruppe erstmals engagiert mitgestreikt. »Lasst euch weder unterkriegen noch auf irgendwelche Kompromisse ein, die ›Bauchschmerzen‹ hinterlassen«, empfahl eine ver.di-Sekretärin den Versammelten über Facebook.

Die Frankfurter Konferenz zog sich bis in den späten Mittwochnachmittag und damit deutlich länger als ursprünglich vorgesehen hin. Zweimal musste eine angekündigte Pressekonferenz verschoben werden. Den Vorschlag von ver.di-Chef Frank Bsirske, eine Urabstimmung über das Schlichtungsergebnis anzuberaumen, habe eine Mehrheit kritisch gesehen, weil dabei laut Satzung ein von vielen Gewerkschaftsmitgliedern als undemokratisch kritisiertes Quorum von 25 Prozent für die Annahme des Ergebnisses ausreichend ist. So habe die ver.di-Spitze schließlich in einer Art »Flucht nach vorne« der Idee einer aufsuchenden Mitgliederbefragung ohne 25-Prozent-Quorum zugestimmt. Ver.di-Chef Frank Bsirske steht nach Einschätzung von Insidern unter Erfolgsdruck, zumal er sich bei der kommenden Bundeskonferenz im September erneut um den Vorsitz der zweitgrößten DGB-Gewerkschaft bewirbt.

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