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Ich verpflichte mich

Aus der Rede von Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras in der Nacht zum Samstag über das Referendum am 5. Juli

  • Lesedauer: 4 Min.

Liebe Griechen und Griechinnen,

seit sechs Monaten führt die griechische Regierung den Kampf darum, unter den Bedingungen eines beispiellosen wirtschaftlichen Würgegriffs das Mandat umzusetzen, das ihr uns gegeben habt.

Unser Mandat bestand darin, das Ende der Austerität mit unseren europäischen Partnern auszuhandeln, damit Wohlstand und soziale Gerechtigkeit in unser Land zurückkehren können. Es war ein Mandat für ein nachhaltiges Abkommen, das zugleich unsere Demokratie und die gemeinsamen europäischen Regeln respektiert und das endlich die Überwindung der Krise erlauben würde.

Während der gesamten Phase der Verhandlungen wurde von uns verlangt, dass wir das von der letzten Regierung geschlossene Memorandum umsetzen sollen, obwohl dieses von den Griechinnen und Griechen bei den letzen Wahlen kategorisch abgelehnt worden war.

Doch nicht eine Minute lang haben wir daran gedacht, uns zu unterwerfen und euer Vertrauen zu verraten. Nach fünf Monaten harter Verhandlungen haben unsere Partner vorgestern schließlich ein Ultimatum an die griechische Demokratie und die Menschen in Griechenland gerichtet. Ein Ultimatum, welches den Gründungswerten Europas, den Werten unseres gemeinsamen europäischen Projekts widerspricht.

Sie haben von der griechischen Regierung verlangt, einen Vorschlag zu akzeptieren, der weitere untragbare Lasten für das griechische Volk bedeuten würde und die Erholung der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft untergraben würde. Dieser Vorschlag würde nicht nur den Zustand der Unsicherheit verewigen, sondern auch die soziale Ungleichheit verfestigen.

Der Vorschlag der Institutionen umfasst Maßnahmen zur weiteren Deregulierung des Arbeitsmarktes, Pensionskürzungen, weitere Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel sowie in den Bereichen Gastronomie und Tourismus. Schließlich zählt dazu auch die Abschaffung der Steuererleichterungen für die griechischen Inseln.

Diese Forderungen verletzen unmittelbar die europäischen Sozial- und Grundrechte: Sie zeigen, dass einige unserer Partner nicht ein für alle Seiten tragfähiges und vorteilhaftes Abkommen betreffend Arbeit, Gleichheit und Würde anstreben - sondern die Erniedrigung des gesamten griechischen Volks.

Ihre Forderungen zeigen vor allem das Beharren des Internationalen Währungsfonds auf harter und bestrafender Austerität. Sie zeigen zugleich deutlicher denn je die Notwendigkeit, dass die führenden europäischen Kräfte die Chance nützen, endlich die Initiative zu ergreifen, um die griechische Schuldenkrise ein für alle Mal zu beenden. Diese Krise betrifft auch andere europäische Länder und bedroht die Zukunft der europäischen Integration. (...)

Es ist die Verantwortung für die Zukunft unseres Landes und diese verlangt von uns, auf das Ultimatum der Partner mit dem souveränen Willen des griechischen Volkes zu antworten.

Vor wenigen Minuten habe ich in der Kabinettssitzung den Vorschlag gemacht, ein Referendum abzuhalten, damit die Griechen und Griechinnen souverän entscheiden können. Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Morgen (am vergangenen Samstag, Anm.d.R.) wird das Parlament zu einer Sondersitzung zusammentreten, um über den Vorschlag des Kabinetts und ein Referendum am Sonntag, dem 5. Juli, abzustimmen. Die Griechen und Griechinnen sollen entscheiden können, ob sie die Forderungen der Institutionen annehmen oder ablehnen.

Ich habe bereits den Präsidenten Frankreichs, die Kanzlerin Deutschlands und den Präsidenten der Europäischen Zentralbank über diesen Schritt informiert. Morgen werde ich offiziell darum ansuchen, das laufende Programm um einige Tage zu verlängern, damit das griechische Volk frei von Erpressung und Druck abstimmen kann, wie es der Verfassung unseres Landes und der demokratischen Tradition Europas entspricht.

Liebe Griechen und Griechinnen,

ich bitte euch, auf das erpresserische Ultimatum, welches von uns harte, entwürdigende und endlose Austerität ohne Aussicht auf soziale und wirtschaftliche Erholung verlangt, auf souveräne und stolze Weise zu antworten - so wie es die Geschichte des griechischen Volks verlangt. Auf Autoritarismus und brutale Austerität werden wir, ruhig und bestimmt, mit Demokratie antworten. Griechenland, der Geburtsort der Demokratie, wird eine demokratische Antwort geben, die in Europa und der Welt widerhallen wird. Ich verpflichte mich persönlich, eure demokratische Wahl zu respektieren, wie immer sie ausfallen wird.

Und ich bin vollkommen überzeugt davon, dass eure Wahl der Geschichte unseres Landes gerecht werden und der Welt eine Botschaft der Würde senden wird. Wir alle müssen uns in diesen entscheidenden Momenten vor Augen halten, dass Europa die gemeinsame Heimat unserer Völker ist. Doch ohne Demokratie wird Europa ein Europa ohne Identität und Orientierung sein. (...)

Übersetzung: Redaktion des mosaik-blog.at

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