nd-aktuell.de / 03.07.2015 / Kultur / Seite 16

Der andere Weg

Harold James über die Macht des Finanzmarktes

Harald Loch

Wirtschaftliche Entscheidungen von Staaten wie Unternehmen werden von den Erwartungen an die Zukunft bestimmt. Da diese niemand voraussagen kann, blicken Entscheidungsträger gern zurück in die Vergangenheit, um Parallelen zu finden. Der international anerkannte britische Autor Harold James hält aber auch Wermut bereit: »Eine allzu naive Anwendung historischer Lehren kann zu falschen Maßstäben verleiten und bietet daher keine Patentlösungen. Die beste Art, über Geschichte nachzudenken, ist es, sie als Möglichkeit zur Prüfung von Hypothesen zu betrachten. Althergebrachtes Denken bietet lediglich einen auf Rosen gebetteten Weg in die Verdammnis - ob in finanziellen oder anderen Debatten. Clios Aufgabe lautet, uns andere Wege aufzuzeigen.«

James analysiert Wendepunkte der Wirtschaftsgeschichte. Er versucht, soweit es überhaupt möglich ist, aus ihnen allgemein gültige Erkenntnisse von denen, die die Besonderheiten des historischen Einzelfalls ausmachen, zu trennen. Sodann geht er in knappen Worten auf die Rezeptionsgeschichte der jeweiligen Ereignisse ein, dividiert die Mythen von nüchternen Analysen und kommt immer wieder auf den kritischen Dialog zwischen Wirtschafts- und Geistesgeschichte zu sprechen. Er offenbart deren Spagat zwischen dem, was ist und dem, was sein sollte. Im Abschnitt über die Wiedergeburt der (protestantischen) Ethik untersucht er die jüngste Finanzkrise und »die disziplinäre Herausforderung des Naturrechts«. Er kommt zu dem Schluss: »Aus Sicht der Moralphilosophen benimmt sich der Markt nicht so, wie er sollte - während die Wirtschaftswissenschaftler feststellen, dass sich der Markt nicht so verhält, wie sie es zuvor berechnet haben.« Zum Thema »Schulden« blickt James zurück in die Gründungsgeschichte der Vereinigen Staaten. Voraussetzung für den Erfolg der Union sei die Erschließung eigener Einnahmequellen der Föderation neben denen der Einzelstaaten gewesen. Diese Logik gelte auch im modernen Europa, »wo eine gemeinsame Verwaltung der Mehrwertsteuer Teil eines reformierten Steuersystems bilden könnte«. James nennt damit ein Beispiel, welchen anderen Weg Clio, »die Rühmende« als Muse der Geschichtsschreibung weist.

Der Brite bestreitet, dass die Einführung des Euro die moderne, unblutige Variante deutschen Hegemoniestrebens sei und wiederholt Erkenntnisse aus seiner vor zwei Jahren erschienenen Monografie »Making the Monetary Union«. Kurzweilige biografische Skizzen über Margret Thatcher und den von den Nazis aus dem Vorstand der Deutschen Bank gedrängten Georg Solmssen belegen, wie stark Persönlichkeiten Wirtschaftsgeschichte schreiben können. Abschließend bekräftigt James noch einmal: »Es gibt keine Patentlösungen.« Er warnt vor wunschgeleiteten Vereinfachungen und lädt zur stetigen Suche nach dem »anderen Weg« ein.

Harold James: Finanzmarkt macht Geschichte. Lehren aus den Wirtschaftskrisen.[1] Wallstein, Göttingen. 142 S., geb., 15 €.

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