nd-aktuell.de / 07.07.2015 / Politik / Seite 6

Zivilgesellschaft will Sicherheit

Mehr als 40 Organisationen fordern Änderungen der Regeln für Gemeinnützigkeit

Ines Wallrodt
Das Atomforum oder parteinahe Stiftungen sind als gemeinnützig anerkannt, bei zivilgesellschaftlichen Organisationen machen die Finanzämter dagegen häufig Ärger. Eine neue Allianz will das ändern.

Attac hat die Sache ins Rollen gebracht, eine Selbsthilfegruppe ist der Kreis jedoch nicht: Mehr als 40 Organisationen haben sich in der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« zusammen getan, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu ändern - darunter politische Schwergewichte wie Amnesty International, Brot für die Welt und Terre des hommes. Denn bislang sind gemeinnützige Organisationen der Zivilgesellschaft, die demonstrieren, plakatieren oder Unterschriften sammeln - sich also politisch äußern - ständig in Gefahr, ihren Status zu verlieren.

Gemeinnützig ist laut Gesetz ein Verein, der die Allgemeinheit selbstlos fördert. Nur ausnahmsweise dürften solche Organisationen politisch aktiv sein, kritisierte Jörg Rohwedder, der die Allianz koordiniert, am Montag in Berlin. Die Rechtslage sei nicht mehr zeitgemäß. Die Organisationen erkennen darin die alte Vorstellung, dass nur Parteien für die politische Willensbildung verantwortlich sind. »Dabei gehört die organisierte Zivilgesellschaft global zu den Hauptakteuren«, betonte Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland.

Für Vereine ist die Gemeinnützigkeit eine wichtige Existenzgrundlage: Spender können ihre Zuwendungen nur dann von der Steuer absetzen, die Initiativen erhalten zudem oft nur Fördergelder, wenn sie als gemeinnützig anerkannt sind. Wann eine Organisation »zu politisch« ist, das entscheiden die Ämter. »Das bisherige Gesetz gibt den Finanzämtern zu großen Ermessensspielraum«, moniert Rohwedder. Oft ziehen sich Auseinandersetzungen über mehrere Jahre, regelmäßig landen Streitfälle vor Gericht. Das bindet Ressourcen, schlimmstenfalls droht die pauschale Nachversteuerung. Die geforderte Steuerreform soll für die Zivilgesellschaft, aber auch die Beamten Sicherheit und Klarheit bringen.

Auslöser für die Kampagne ist der umstrittene Entzug der Gemeinnützigkeit von Attac im Frühjahr 2014. Zur Begründung führte das Finanzamt Frankfurt am Main an, dass eine strengere Finanzmarktregulierung oder auch die Einführung einer Vermögensabgabe keine gemeinnützigen Ziele seien. Das Netzwerk hat Widerspruch eingelegt und wartet seit einem Jahr auf eine Entscheidung.

Die Allianz will Attac den Rücken stärken, es geht aber um mehr als diesen einen Konflikt. Man will die Empörung nutzen, die der Fall ausgelöst hat, um zivilgesellschaftliche Organisationen insgesamt zu stärken. »Attac ist bestes Beispiel, dass etwas nicht stimmt«, betont die Amnesty-Chefin Çalışkan. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist voller Ungereimtheiten. Die Abgabenordnung listet auf, welche Zwecke gemeinnützig sind. Die Gleichstellung von Mann und Frau gehört dazu, nicht aber die Beseitigung von Diskriminierung von Homosexuellen. Umweltschutz ist ein gemeinnütziges Ziel, die Förderung der Menschenrechte hingegen nicht. Kommunalpolitische Ziele sind verboten, wer sich an Bürgerbegehren beteiligt, muss mit unerfreulicher Post der Behörden rechnen. So manche Organisation behilft sich mit Ersatzformulierungen - zum Teil sogar auf Anraten ihres Finanzbeamten. Da steht dann etwa als Vereinszweck »Völkerverständigung« in der Satzung. Auf der sicheren Seite ist man damit nicht. Es hängt immer vom lokalen Finanzamt ab, ob es Engagement für Frieden darunter fassen will oder nicht.

Aus Sicht der Allianz würde bereits ein einzelner Satz die Lage verbessern: So sollte gemeinnützigen Organisationen die politische Betätigung erlaubt sein, wenn sie »selbstlos der Allgemeinheit« dient. Dies könne der Finanzminister mit »einem Federstrich« selbst erledigen, indem er den Anwendungserlass in diesem Sinne ändert. Zudem fordern die Organisationen, weitere Zwecke in das Gesetz aufzunehmen: »Der Einsatz für Menschenrechte muss als gemeinnützig anerkannt werden«, fordert Amnesty-Generalsekretärin Çalışkan. Genauso wie Geschlechtergerechtigkeit, Frieden und soziale Gerechtigkeit.

Auch andere Organisationen stecken wie Attac in Schwierigkeiten, wollen sich im Bündnis aber nicht exponieren, um Abwehrreaktionen in ihrem Fall zu vermeiden. Die Allianz weiß von mindestens acht weiteren aktuellen Auseinandersetzungen: Mal geht es um ein Volksbegehren für den Rückkauf der Stromnetze, mal um Demonstrationen gegen Atomkraft. Auch etablierte Organisationen wie Greenpeace und der BUND Hamburg mussten bereits um ihre Gemeinnützigkeit bangen, sind aber bislang nicht Teil des Bündnisses.

Viele vermuten politische Gründe hinter dem plötzlichen Angriff auf Attac. Die neuen Bündnispartner wollen darüber nicht spekulieren. Sie beobachten jedoch einen Trend, dass Finanzämter immer strenger prüfen. »Der Blick auf zivilgesellschaftliche Organisationen hat sich verändert«, glaubt Julia Duchrow, Referatsleiterin bei Brot für die Welt. Sie würden inzwischen eher als störend empfunden. Das evangelische Hilfswerk arbeitet mit Organisationen im In- und Ausland zusammen, die zunehmend von Restriktionen betroffen seien.

Attac hat nicht nur aus der Bevölkerung, sondern auch aus fast allen Parteien Solidaritätsbekundungen erhalten. Die Allianz vermutet denn auch die größten Widerstände gegen ihr Anliegen gar nicht auf der Ebene der Politik, sondern bei der Verwaltung, die das Fass nicht aufmachen will. »Nun müssen sie Farbe bekennen«, betont Selim Çalışkan von Amnesty.