»Guck doch nicht so blöd«

2000 Menschen demonstrierten vergangenen Samstag bei der Pride Parade

  • von Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Berliner Pride Parade ist eine Protestparty der Behindertenbewegung. Betroffene demonstrieren ihr Selbstbewusstsein und fordern Respekt.

Ob an Krücken, im Rollstuhl oder auf dem Partywagen: Bei der Pride Parade war jede Form der Fortbewegung recht. Rund 2000 Behinderte und Nichtbehinderte zogen am vergangenen Samstag vom Neuköllner Hermannplatz zum Kottbusser Tor nach Kreuzberg, um gegen die gesellschaftliche Diskriminierung von Menschen mit physischem und psychischem Handicap zu demonstrieren. Teilnehmer hielten Transparente mit Slogans wie »Normalität abschaffen« und »Guck doch nicht so blöd« in den sommerlichen Berliner Himmel. Von den drei Umzugswagen dröhnte Musik, es regnete Konfetti.

Das Motto der »behindert und verrückt feiern«-Pride Parade, die in diesem Jahr bereits zum dritten Mal in Berlin stattfand: »Party statt Pathologisierung, Kritik statt Sonntagsreden.« Organisiert wurde der Umzug vom »Gen-ethischen Netzwerk«, dem »Arbeitskreis mit_ohne Behinderung (ak moB)« und anderer linksalternativer Gruppen. Zur Teilnahme aufgerufen waren »Freaks, Krüppel, Verrückte und Normalgestörte«.

Entsprechend bunt und freaky war das Publikum. Die Organisatoren machen sich ganz bewusst abwertende und stigmatisierende Bezeichnungen zu eigen, um so die gesellschaftlich vorherrschenden Bilder von Schönheit und Normalität aufzubrechen. Das Demonstrationskonzept der Pride Parade für Menschen mit Handicap lehnt sich an die Pride-Events der schwul-lesbischen Bewegung an. Hier wie dort geht es darum, sich genauso wie man ist selbstbewusst in der Öffentlichkeit zu zeigen und sich vor nichts verstecken zu müssen. So ist die Parade auch keine Demonstration im klassischen Sinne, sondern eine Straßenfete mit bunt geschmückten Umzugswagen. Trotz des fröhlichen Party-Charakters, sollen die politischen Forderungen nicht zu kurz kommen. »Wir feiern mit unserer Parade nicht die gesellschaftlichen Zustände, sondern die Betroffenen ihr Selbstbewusstsein. Die Botschaft ist: Wir zeigen uns und feiern, trotz aller Widrigkeiten, die es zu überwinden gilt«, erklärt Michael Zander, einer der Organisatoren des Umzugs.

So gebe es trotz vieler Fortschritte noch viel zu tun. In Redebeiträgen wurde neben generellem Respekt und Akzeptanz eine umfassende Barrierefreiheit im öffentlichen Raum und mehr Möglichkeiten der sozialen Teilhabe gefordert. Im Fokus stand in diesem Jahr das Thema Inklusion. So soll die Parade explizit kein »Inklusions-Fallerifallara« sein, wie es im Aufruf heißt. Zu häufig würde von der Politik Inklusion gefordert, aber dann nicht oder nur halbherzig umgesetzt. Stattdessen betonten die Redner immer wieder den kämpferischen Charakter einer emanzipatorischen Behindertenbewegung. Für Außenstehende mag es auf den ersten Blick nicht ganz verständlich sein, wie Menschen, die unter schweren körperlichen Behinderungen und psychischen Problemen leiden, zum Feiern zu Mute sein kann.

Doch genau darum geht es vielen Teilnehmern: Sie wollen nicht isoliert zu Hause sitzen und zeigen, dass es sich trotz aller Schwierigkeiten zu leben lohnt. So auch Phillip. Mit seinem Freund und Betreuer René ist der 29-Jährige extra für die Parade aus Innsbruck angereist. Er sitzt seit seiner Kindheit im Rollstuhl. »So eine Parade gibt es nur in Berlin. Wir zeigen damit, dass auch Behinderte demonstrieren und Spaß haben können«, sagt Phillip mit österreichischen Akzent. Mit seiner Teilnahme möchte er auch anderen Menschen mit Handicap Mut machen. Nächstes Jahr wollen René und er wieder kommen.

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