Willkommen in unserem Haus

Begegnungen während einer Jeepsafari durch das Hinterland von Kreta

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 3 Min.

Wären da in Heraklion und Chania nicht die Menschenschlangen vor den Geldautomaten, man könnte denken, auf Kreta sei die Welt vollkommen in Ordnung: keine Demos in den Straßen, keine wütenden Rentner machen sich öffentlich Luft, keine Schlangen vor den Tankstellen und schon gar keine Hamsterkäufe. Vielleicht sind ein paar mehr griechische Fahnen als in anderen Sommern zu sehen. Als Ausdruck ihres Nationalstolzes, als Zeichen ihres Protestes gegen aufgezwungene Maßnahmen von der EU.

»Auf Kreta ist alles ein bisschen anders als im Rest des Landes«, erzählt Michalis, mit dem wir im Jeep im steilen, steinigen Hinterland der Insel unterwegs sind. »Wir haben zwei Trümpfe - den Tourismus und die Landwirtschaft. Beides gedeiht prächtig, trotz der Krise.« Der 32-jährige Guide, Sohn eines kretischen Bauern und einer Pariserin, die als Touristin kam und für immer blieb, möchte zwar seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen, macht aber keinen Hehl aus seiner Meinung. »So wie es ist, kann es in Griechenland nicht weitergehen. Vor fünf Jahren ging es den Leuten viel besser als heute, überall gibt es Probleme.« Schon lange habe er das Vertrauen in die Banken verloren. Sein Geld bewahre er zu Hause auf, da sei es auf jeden Fall sicherer als bei der Bank. Viel habe er ohnehin nicht. Wie die meisten Kretaner.

Michalis liebt seine Insel, niemals würde er sie verlassen. »Schaut euch doch um, hier gibt es alles, was man zum Leben braucht: tolles Wetter, viele Naturprodukte, Strand, Meer, Berge. Und gastfreundliche Menschen, das alles würde ich gegen kein Geld der Welt tauschen.«

Während Michalis sein Loblied auf seine Heimat gestenreich weitersingt, lenkt er den Jeep geschickt über einen schmalen, steil aufsteigenden Serpentinenweg, der so gar nichts für Leute mit schwachen Nerven ist. »Da, wo du sitzt, saß neulich Georg Clooney«, erzählt er und dreht sich grinsend zu mir um. In einer anderen Situation wäre ich jetzt vielleicht ins Schwärmen geraten, jetzt aber wünsche ich nur, dass er beide Hände aufs Lenkrad legt, nach vorn schaut und sich auf den Weg konzentriert. Höher, immer höher windet sich die Straße. In einer Schlucht mit steil aufragenden Felswänden stoppt unser Guide kurz und zeigt in den wolkenlosen Himmel. Fünf oder sechs gewaltige Bartgeier ziehen dort ihre Kreise. »Pleitegeier«, rutscht es einem heraus. Michalis findet das gar nicht lustig. »Wenn es nach mir ginge, müssten wir nicht in der EU bleiben«, sagt er, »es ist demütigend, was die mit uns macht.« Es stimme schon, dass viele Leute arm sind, aber das sei doch nicht ihre Schuld, wettert er. Und es stimme auch, dass viele gut ausgebildete Akademiker keinen Job in ihrem Beruf finden. Viele haben, so wie er, mindestens zwei Jobs, um über die Runden zu kommen. »Hier auf Kreta arbeiten viele im Sommer im Tourismus und im Winter in der Landwirtschaft«, erzählt er. Für ihn ist es ein Privileg, Touristen das wirkliche Kreta jenseits der üblichen Touristenpfade zeigen zu dürfen.

Noch ein paar Serpentinen abwärts rumpelt der Jeep über steiniges Gelände, dann ist Palaia Roumata, ein winziges Bergdorf Bergen. Michalis macht uns auf einen gewaltigen knorrigen Olivenbaum aufmerksam. Er habe rund 3000 Jahre auf dem Buckel, erzählt er, gehöre zu den ältesten in ganz Griechenland. Außerdem befinde sich in seinem Stamm eine Höhle, die vier Leuten Platz biete und im Zweiten Weltkrieg Einheimischen als Versteck vor den Deutschen diente. Nicht weit von dem Baum gibt es ein Denkmal, das daran erinnert, dass im Mai 1941 die Einwohner des Dorfes mit Spaten und Schaufeln heldenhaft gegen Deutsche Fallschirmjäger gekämpft haben.

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