Müll verpackt

Tom Mustroph über die Alpentage und eine naheliegende Prognose

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

L'Alpe-d'Huez am Sonntagmorgen. Die Absperrungen sind fast abgebaut, der Müll der Hunderttausenden Radsportenthusiasten fein verpackt in Säcken. Die meisten Caravans sind schon vom Berg herunter. Nur der DJ der Fankurve der Holländer ist noch dabei, sein Equipment zu verstauen. Weiter unten, an der Straße Richtung Grenoble, ein Mann mit Rennrad, der aber steht und in Trampermanier ein Schild hoch hält mit der Aufschrift »NL«. Ihn verließen wohl die Kräfte und der Mut. Holland ist weit weg, jetzt, da sich in der Fankurve das Gras wieder aufrichtet und sich Blüten der Sonne wieder zuwenden.

Die Tour verlässt die Alpen. Zurück bleiben neue Aufschriften auf den berühmten Kehren hoch zur Skistation. Froome gelten sie, und Quintana, die sich hier eine Schlacht lieferten, wie sie ein vorletzter Tourtag lange nicht gesehen hat. Auch Pinot, dem Etappensieger, und Buchmann, dem neuen deutschen Klettertalent, sind Anfeuerungen auf dem Asphalt gewidmet. Die Tour 2015 hat alte Helden bestätigt und neue hervorgebracht. Sie hat vor allem Maßstäbe gesetzt in Sachen Spannung - und eine Eskalation erlebt in Sachen Attacken auf Fahrer. Was bislang in Internetforen und an Stammtischen an Hasstiraden auf einzelne Fahrer und pauschale Dopingunterstellungen eines ganzen Sports beschränkt war, brach sich jetzt im Spucken, Urinbecher werfen und einzelnen Fausthieben an der Strecke Bahn. Die Tour wird auch das verkraften. 1975 wurde Eddy Merckx von einem Fan, der ihm den sechsten Toursieg nicht gönnte, auf der Königsetappe angegriffen. Merckx fiel zurück. Es wurde nichts mit dem sechsten Toursieg. Ein Skandal. Wie sich später zeigte, zum Glück, handelte es sich um eine Eskalation, eine Spitze, die in den Folgejahren nicht weiter überboten wurde. Hoffnung besteht, dass auch 2015 in dieser Hinsicht ein negativer Ausschlag bleibt und das Pendel wieder zurückschwingt.

Die Spannung hingegen, die das Duell Froome vs. Quintana bot, darf weiter bleiben. Mit Froome kristallisierte sich ein König der Pyrenäen heraus. Quintana ist, trotz des verpassten Etappensiegs in l'Alpe-d'Huez, der König der Alpen. Im nächsten Jahr liegen die Alpen vor den Pyrenäen. Quintana darf dann vorlegen und Froome muss kontern.

Dann sollte es auch einen offiziellen Leistungspass geben, mit Leistungsdaten, die mit Blut- und Hormondaten abgeglichen werden und die von Experten, die selbst über Zweifel erhaben sind, so ausgewertet werden, dass man sagen kann: Das ist ein Sieger mit Gewähr. Jetzt immerhin hat man einen, bei dem ernsthaft möglich ist, er hätte nicht gedopt. Zu Zeiten Armstrongs konnte dies nur übergroße Naivität glauben machen. Bei Froome ist dies eine ernst zu nehmende Hypothese.

Tom Mustroph, Radsportautor und Dopingexperte, war zum 14. Mal für »nd« bei der Tour de France.

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