Angst vor dem Bürgerkrieg

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (LINKE) war zu Besuch in der Türkei

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Linkspolitikerin Dagdelen hält den türkischen Präsidenten Erdogan für den eigentlichen Brandstifter, der nach absoluter Macht greift.

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (LINKE) stand noch sichtlich unter dem Eindruck der jüngsten Geschehnisse, als sie am Donnerstag von ihrer Reise in die Türkei berichtete. Am Dienstag war sie zurückgekehrt aus dem Land, das nach dem mutmaßlichen IS-Anschlag auf linke Aktivisten in Suruc im Chaos zu versinken droht. Dagdelen, die auch im Istanbuler Stadtteil Gazi unterwegs war, wo die Polizei auf der Jagd nach linken Aktivsten war und dabei eine junge Alevitin mit »13 Kugeln förmlich hingerichtet hat«, machte für die jüngsten Ereignisse vor allem einen Mann verantwortlich: Präsident Recep Tayyip Erdogan von der islamischen AKP. Der Einzug der prokurdischen HDP ins Parlament habe »eine Präsidialdiktatur Erdogans verhindert«, so Dagdelen. Die linke HDP, die nicht nur von Kurden gewählt wurde und so die absolute Mehrheit für die AKP verhinderte, sei »der eigentliche Grund« für Erdogans neuen Kurs. Selbst liberale türkische Journalisten beschuldigen Erdogan, er verfolge eine »Strategie der Spannung«, um sich als starker Mann profilieren zukönnen, um so die immer wahrscheinlicher werdenden Neuwahlen mit absoluter Mehrheit zu gewinnen.

Dagdelen berichtete von Aussagen von Politikern der sozialdemokratischen CHP, die in Koalitionsverhandlungen mit der AKP getreten war. Danach habe dort der Eindruck vorgeherrscht, die AKP wolle gar keine Koalition. Doch Erdogan könnte sich verspekulieren, glaubt die Linkspolitikerin. Denn auch in der AKP-Anhängerschaft gebe es »eine große Enttäuschung« über das vom Präsidenten verkündete Ende des Friedensprozesses mit der PKK. Die jüngste Verhaftungswelle zeige, wo Erdogan den Feind verorte. Von den rund 1100 Festnahmen nach Suruc seien nur wenige Anhänger des IS betroffen gewesen. Hauptsächlich ging es jedoch um Linke, wie Mitglieder der Lehrergewerkschaft oder der HDP. Tatsächlich lägen Erdogans Sympathien, der in seiner Jugend selbst Mitglied einer islamistischen Untergrundorganisation war, wohl mehr beim IS.

Viele, die sie in der Türkei gesprochen habe, »befürchten einen Bürgerkrieg«, so die Abgeordnete. Auch seien viele der Meinung gewesen, dass beim Suruc-Anschlag »der Geheimdienst vorher Bescheid wusste«. Tatsächlich gab es in der Vergangenheit immer wieder Anschläge, die man der PKK in die Schuhe schieben wollte. Etwa 2005, als zwei Militärgeheimdienstler einen Buchladen in die Luft sprengten.

Die geplante Pufferzone in Nordsyrien sei genau das, was Erdogan wolle, so die Parlamentarierin. Das Gebiet werde ein sicheres Rückzugsgebiet für islamistische Kämpfer, prophezeite Dagdelen.

Besorgt zeigte sich Dagdelen über die zunehmende Akzeptanz für den islamistischen Terror in der Türkei. Ein Trend, der von der Regierung befördert werde. Es sei auch für Deutschland problematisch, wenn die AKP-Ideologie bei den hier lebenden Türken verfange.

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