Ukrainische Pilotin unter Mordanklage

In Russland begann Prozess gegen Sawtschenko

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 2 Min.

Bei den Bildern aus Donezk denkt man an Belagerungszustand. Aufgenommen wurden sie indes nicht in der von prorussischen Milizen kontrollierten Millionenstadt in der Ostukraine, sondern im gerade einmal 50 000 Einwohner zählenden russischen Donezk bei Rostow am Don.

Dort begann Donnerstag der Prozess gegen die ukrainische Fliegerin Nadeshda Sawtschenko. Die 34-Jährige soll der ukrainischen Artillerie im Juni 2014 die Koordinaten eines russischen TV-Kamerateams übermittelt haben. Bei dem anschließenden Mörserangriff starben beide Journalisten. Die Beweise dafür, so Wladimir Markin, Sprecher der Ermittlungsbehörde bei der russischen Generalstaatsanwaltschaft, seien »ausreichend«. Es sei »nicht besonders schwierig« gewesen, sie zusammenzutragen.

Sawtschenko selbst behauptet, die Separatisten hätten sie noch vor den Schüssen auf die Journalisten gefangen genommen, nach Russland verschleppt und dort dem Geheimdienst übergeben. Russland wirft der Fliegerin neben mehrfachem Mord auch illegalen Grenzübertritt in der Tarnung als als Flüchtling vor.

Verhandelt wird der Fall von Berufsrichtern. Sawtschenkos Anwalt Mark Feigin verteidigte schon die Mitglieder der Punk-Band Pussy Riot, die für ihren Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche eine Haftstrafe kassierten. Er beantragte eine Geschworenen-Jury. Doch sie wurde ebenso abgelehnt wie ein öffentlicher Prozess. Laut offizieller Begründung wegen der möglicher Erörterung von Staatsgeheimnissen.

Bürgerrechtler glauben, dass Sawtschenko, deren Twitter-Account über 15 000 Follower hat, keine weitere Möglichkeit für Werbung in eigener Sache und antirussische Propaganda bekommen solle. Die USA, Europa und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE kritisieren eine »illegale Internierung« und fordern Freilassung im Rahmen eines Gefangenenaustausches.

Das ist aus Moskauer Sicht erst nach einem abgeschlossenen Gerichtsverfahren möglich. Für Kiew gilt die Unschuld der Pilotin spätestens nach einem mehrmonatigen Hungerstreik in der U-Haft als erwiesen. Sie wurde dafür mit dem Titel »Heldin der Ukraine« geehrt. Im Oktober 2014 wurde sie, obwohl bereits in russischer Haft, in die Werchowna Rada gewählt und erhielt gleichzeitig ein Mandat für die Parlamentarische Versammlung des Europarates - ein Versuch, ihr Immunität zu verschaffen.

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