nd-aktuell.de / 31.07.2015 / Kultur / Seite 14

Ferienzeit, schönste Zeit? Von wegen!

Andreas Gläser

Vor vielen Jahrzehnten verdonnerte mich mein Vater vor den Ferien zum pauschalen Geldverdienen, und so gab ich mein Debüt auf dem Arbeitsmarkt während einer schweinekalten Woche im Februar als Fensterputzer im Sportforum Hohenschönhausen, wo ich zwischen der Schwimmhalle, der Barackensiedlung und dem Wellblechpalast unterwegs war.

Damals wurden die Olympioniken der Deutschen Demokratischen Republik in der Handballhalle eingekleidet. »Moskau 80« hieß die Devise. Sie bekamen einen graublauen Einheitslook, fast wie die Leute in den Betrieben. Ich hatte Einblick in ihre schaurige Kleiderkammer, als ich mit dem alten Fensterputzer unterwegs war. Manchmal lies er mich allein arbeiten, gab mir aber noch Anweisungen wie: »Hier haste den Schlüssel von der Baracke da drübn, aber nich verliern hörste!«

In solchen Momenten erinnerte ich mich an einen tschechischen Kinderfilm, in dem der Direktor den Kindern schulfrei gab, indem er sagte: »Liebe Kinder, die Heizung ist ausgefallen, geht alle nach Hause! Wenn ihr das Gebäude verlasst, so leckt bitte nicht das Treppengeländer ab, sonst bleibt ihr kleben!« In der folgenden Szene leckten und klebten drei Kinder am Treppengeländer. Folgerichtig habe ich den Schlüssel verloren. Der Alte regte sich auf: »Weshalb haste den Schlüssel verlorn?! Na, ejal! Die Baracke wird sowieso bald abjerissn, nu is der Schlüssel eben als erstet weg.«

Wenn nach dem Mittagessen ein Nickerchen angesagt war, machten sich die Maurer, die sich in unserer Baracke einquartiert hatten, auf den Bänken lang, oder sie legten ihre Köpfe auf die Tische. Ich fragte den Alten, ob wir durcharbeiten wollten, dann könnten wir eher nach Hause gehen. »Habt ihr dit jehört?« polterte er, »der Bengel will keene Pause machn! Da warn wir früher aber anders druff!« Als ich am nächsten Tag die riesigen Restaurantfenster einwässerte und mit dem Scheibenwischer drüber ging, ergaben sich Ölspuren, die wie olympische Ringe aussahen. Die Kugelstoßerinnen mit den Fußballerstimmen murrten im Vorübergehen an meiner Arbeit herum. Der alte Fensterputzer musste meinetwegen nacharbeiten. Am Freitag gab es hundertzwanzig Mark.

Nun fehlten nur noch tausend für den Stern-Rekorder aus Plaste und Elaste. In den dreiwöchigen Winterferien waren eine und in den achtwöchigen Sommerferien drei Wochen Arbeit erlaubt. In den letzten Schulferien ließ ich mich auf drei Wochen in der Schwimmhalle ein. Eine Putzfrau war für mich und zwei andere Bengel zuständig. Sie sagte jeden Morgen: »Ja, rennt ma hier ’n bißchen mit ’m Besen rum, dann macht ma Mittach, dann jeht ma baden und dann haut ab!« Ich suchte gerne das Weite, ohne Rücksicht auf die Chance auf eine sportliche Karriere, denn immerhin ging ich schon im Sportforum ein und aus.