nd-aktuell.de / 02.08.2015 / Kultur / Seite 9

Wer zuerst lacht, wird erschossen

Das Vermächtnis von Charb, des ermordeten Chefredakteurs von »Charlie Hebdo«: die Streitschrift »Brief an die Heuchler«

Thomas Blum

»Religion ist wie ein Penis. Es ist in Ordnung, einen zu haben. Aber man sollte damit nicht denken.« Diese Empfehlung, die vor einiger Zeit in den sogenannten sozialen Netzwerken kursierte, möchte man vor allem all jenen Männern geben, die nicht damit aufhören können, in der Öffentlichkeit ständig stolz ihre Religion hin- und herzuschwenken, und außer ihr nichts mehr im Kopf haben.

Religiöse Spinner, vom erzreaktionären katholischen Fundamentalisten bis zum islamistischen Gotteskrieger, haben oft Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass den Wahn, dem sie anhängen, nicht alle anderen uneingeschränkt teilen möchten. Und wer es, im Dienst der Aufklärung, wagt, sich über sonderbare religiöse Zwangsvorstellungen, Praktiken oder Rituale von Gläubigen lustig zu machen, bekommt nicht selten den Unmut der religiösen Fanatiker zu spüren.

So auch der Zeichner Stéphane Charbonnier (»Charb«), der bis zu seiner Ermordung durch islamistische Terroristen am 7. Januar dieses Jahres als Chefredakteur die kleine französische Satirezeitung »Charlie Hebdo« leitete und sich ständig mit Drohungen und Klagen diverser Berufsempörter herumschlagen musste. Die im Wochenrhythmus erscheinende Publikation habe sich selbst stets als linkes Blatt begriffen, bekräftigt Charb, der »überzeugte Kommunist« (»FAZ«). Als ein Presseorgan also, das »für das Wahlrecht der Einwanderer eintritt, für eine Legalisierung der Situation von Ausländern ohne Aufenthaltspapiere und für antirassistische Gesetze«. Über ein Dutzend Mal, rechnet Charb vor, sei die kleine Zeitung, weil sie sich über den Glaubensklimbim und die religiösen Idole der Christen lustig gemacht hätte, auch von katholischen Fundamentalisten, die den Rechtsradikalen nahestehen, gerichtlich verfolgt worden.

Wie konnte es also dazu kommen, dass ein solches Blatt plötzlich als »rassistisch« galt? Warum soll ein satirisch tätiger Zeichner von heute auf morgen nicht mehr den »religiös motivierten Terrorismus karikieren« dürfen? Soll wegen irgendeiner Person, die von einem Witz ihre privaten Glaubensgrundsätze verletzt sieht, die Meinungsfreiheit nicht mehr gelten? Soll alles schwarz-weiß werden, weil es Menschen gibt, die Schwierigkeiten mit Farben haben? Und soll dann bald auch die »Anpassung der französischen Gesetze an die Scharia« erfolgen, wie es in der Streitschrift »Brief an die Heuchler« heißt? Charb schloss das Manuskript, das jetzt erstmals auf Deutsch erschienen ist, zwei Tage vor seiner Ermordung ab.

Dass es bei einer Zeitschrift, die den Witz und die satirische Attacke pflegt, nicht ausbleiben kann, dass die Scheinheiligkeit von Religionen und die ihnen innewohnende Neigung zum Fanatismus zum Thema wird, sollte keinen denkenden Menschen überraschen. Humor und Religion scheinen schließlich zwei sich feindlich gegenüberstehende Konzepte: Wo die Religion ihr Glaubensgebäude vor jeder Erschütterung bewahren und jeden Glaubensgrundsatz eingehalten wissen will, will Humor, als Form der Kritik verstanden, Aberglauben bekämpfen und jedes Dogma einer Prüfung des kritischen Verstandes unterziehen. Da werden sich einfach zwei nicht einig. Wenn die Religion sagt: Ich bin heilig, antwortet der Humor: Du bist alter Plunder. Einen Satiriker zur »Mäßigung« aufzufordern, ist auch deshalb so absurd. Man hat vermutlich auch größere Schwierigkeiten beim Sex, wenn man dabei vollständig in Atomschutzkleidung steckt.

Plötzlich aber galt es schlagartig nicht mehr als komisch, sondern als »Islamophobie«, wenn ein Zeichner sich über islamistische Terroristen und deren groteske mittelalterliche Ideen lustig gemacht hat, und es reichte plötzlich aus, den karikierten Terroristen »als Muslim zu identifizieren, um gleich den ganzen Islam verspottet zu sehen«. Auf einmal machte man sich mit Satire »schuldig«. Was war hier passiert? Ist eine Kritik an der Homophobie eines katholischen Würdenträgers und an dessen mittelalterlichen Ansichten gleichzusetzen mit der Aussage, dass alle Katholiken schwulenfeindlich und geistig unterbelichtet sind? »Die Zeichnung eines alten Mannes bei einem pädophilen Akt bringt doch nicht alle alten Menschen in Verruf oder deutet an, dass alle alten Männer pädophil sind.«

In seinem »Brief an die Heuchler« scheidet der Autor die Begriffe »Rassismus« und »Islamophobie« deutlich voneinander. Charb, der so vor allem begreiflich machen will, dass Witze über Gott und Religionskritik nicht mit antimuslimischem Rassismus verwechselt werden dürfen, geht es in seinem schmalen Essay um Vieles: erstens darum, streng Religiösen begreiflich zu machen, dass sie nicht erwarten können, dass alle anderen sich ihrem Kult und den mit diesem einhergehenden Riten anschließen. »Eine Beleidigung oder Schmähung Gottes setzt die Überzeugung voraus, dass Gott existiert.« Wo »Gott« als tatsächlich existent sowie als unumstößliche Autorität begriffen wird und jede noch so zarte Infragestellung dieses Glaubenskonstrukts bereits als »Gotteslästerung«, Verhöhnung oder schwere Sünde verstanden wird, ist jede Argumentation, die den Versuch unternimmt, den religiösen Starrsinn zu mildern, irgendwann zum Scheitern verurteilt.

Zweitens stellt Charb den fragwürdigen Begriff der »Islamophobie« zur Diskussion. »Der Kampf gegen den Rassismus ist ein Kampf gegen alle Arten von Rassismus«, schreibt er. Und weiter: »Wogegen kämpfen aber die Feinde der Islamophobie? Gegen die Kritik, die an der Religion geübt wird.« Was also früher, noch vor nicht allzu langer Zeit, in sich laizistisch verstehenden Gesellschaften wie Frankreich oder Deutschland als Religionskritik und Religionsverulkung gang und gäbe war, gilt heute überraschenderweise als »religiöse Diskriminierung« bzw. schwere »Provokation«. Und »religiös diskriminiert« bzw. »in seinen religiösen Gefühlen verletzt« bzw. provoziert fühlt sich schnell jemand, der irgendeiner Heilslehre oder Sekte anhängt und nicht begreifen will, dass vermeintlich »heilige« Texte »nur heilig für diejenigen sind, die an sie glauben«. Statt dass die französischen Muslime sich über die von konservativen Medien und politischem Establishment transportierten rassistische Stereotype ärgern, so beklagt Charb, regen sie sich auf über eine Karikatur, die sich über den »sogenannten radikalen Islam« lustig mache. Dabei seien die meisten Muslime weit davon entfernt, gläubige Muslime zu sein, »die alle religiösen Vorschriften befolgen«. Charb erläutert, dass das Satireblatt »Charlie Hebdo« zu keinem Zeitpunkt »alle Muslime« habe veralbern wollen. Auch sei es nie darum gegangen, weltoffenen, liberalen Gläubigen ihre religiösen Überzeugungen wegzunehmen, was ja auch ein Ding der Unmöglichkeit wäre. »Das Problem sind weder Koran noch Bibel«, so stellt der Zeichner fest, »beide Bücher sind einschläfernde, unzusammenhängende und schlecht geschriebene Romane.« Das Problem sei vielmehr jener »Gläubige, der Koran und Bibel wie eine Montageanleitung für ein Ikea-Regal liest«.

So seien es auch immer wieder humorlose Einzelpersonen bzw. »eine Hand voll wütender« streng Religiöser gewesen, erklärt Charb, die an Inhalten von »Charlie Hebdo« Anstoß genommen und der Zeitung mit juristischen Mitteln hätten beikommen wollen: stets nachdem sie Zeichnungen entweder missverstanden oder bewusst deren Sinn entstellt hätten. Gegner des Blattes, in diesem Fall Linke, seien sogar nicht davor zurückgeschreckt, Zeichnungen in manipulierter Form und aus ihrem Kontext gerissen wiederzugeben, um »Charlie Hebdo« als wahlweise »rassistisch« oder »islamophob« zu denunzieren. Es wäre wohl auch kein Wunder, wenn katholische Rechte demnächst die »Kathophobie« erfindet, so Charb.

Beängstigend ist ihm zufolge auch, dass religiöse Fundamentalisten verschiedener Couleur hier den extremen Rechten in die Hände arbeiten und so in Europa ein politisches Klima miterzeugen, das einem aggressiven Nationalismus Tür und Tor öffnet. »Das Pinkeln auf die dreifarbige Flamme des Front National« sei »bald eine 1500 Euro teure Verunglimpfung der Nationalflagge«, so Charb, während es bislang »niemand verunglimpfend fand, dass der Front National die Farben der Trikolore zu seinem Logo machte«.

Charbs letzter Essay, der sich ganz in der Tradition der Aufklärung versteht und sich als Plädoyer gegen die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und gegen Zensurinstanzen versteht, ist überaus lesenswert für all jene, die noch immer bewusstlos von »Islamophobie« sprechen. Allerdings ist er leider Gottes in ein ungenaues und oft unbeholfenes kantiges Deutsch übertragen, was die Lektüre nicht zu einem durchgängigen Vergnügen macht.

Charb: »Brief an die Heuchler. Und wie sie den Rassisten in die Hände spielen.« Aus dem Französischen von Werner Damson. Tropen-Verlag, Stuttgart 2015. 90 S., 12 €.