Lotte gibt den Auftakt

Start neuer mdr-Staffel

Was waren das für Zeiten! »Ulbricht, Ulbricht«, skandierten junge Ägypter in Kairo. Solchen Empfang hat der Staatsratsvorsitzende zu Hause kaum erlebt. Gamal Abdel Nasser lud ihn 1965 ein, zum Ärgernis der Bonner Regierung, deren Hallstein-Doktrin jegliche Kontakte zur DDR als einen »feindlichen Akt« wertete. Ostdeutschen dürfte bei den Filmsequenzen ein Witz in den Sinn kommen, den damals der Volksmund gebar: Ulbricht wird in Kairo frenetisch bejubelt: »Gammel-Walter, Nasser-Ulbricht!«

DDR-Bürgern werden viele Bilder vertraut sein, die der mdr am Sonntag zu bester Sendezeit ausstrahlt. Beispielsweise Walter und Lotte beim Tischtennis. »Jedermann an jedem Ort - einmal in der Woche Sport«, gab Ulbricht 1959 vor. Die Auftakt-Doku der neuen, nun schon 17. Staffel der »Geschichte Mitteldeutschlands« zeigt auch viele wenig oder unbekannte Aufnahmen. Es geht nicht um den langjährigen Ersten Mann im Staate, der 1971 mit Moskauer Segen gestürzt wurde, sondern um dessen Gattin, die mehr war als die Frau an seiner Seite. Und es geht um Tochter Beate. Der Film versucht zu ergründen, warum deren Verhältnis am Ende hoffnungslos zerrüttet und zerstört war, wie Beate 1991 in einem Interview beklagte. War Lotte die böse Fee in einem Schauermärchen? Warum endete die Adoption in einer Tragödie? Lotte war anfangs fest überzeugt, das »liebenswerte Kind zu einem wertvollen Glied der neuen Gesellschaft« erziehen zu können. Am Ende sprachen Mutter und Tochter kein Wort miteinander.

Auf der Suche nach Antworten begab sich das TV-Team zurück in das Jahr 1935. Lotte Kühn, damals noch liiert mit Erich Wendt, der alsbald in die Mühlen Stalinscher Repressalien geriet, ist in Moskau mit der Vorbereitung des VII. Weltkongresses der Komintern betraut. Da klopft es an ihrer Zimmertür im Hotel »Lux«. Walter Ulbricht bittet um ein paar Krümel Tee. Es habe sofort gefunkt, erinnert sich Lotte später. Man verabredet sich zum Eislaufen. Lotte korrigiert Walters unbeholfenen Stil, »so dass wir zum Schluss sehr schön zusammen holländern konnten«.

Warum hat das vielbeschäftigte Funktionärspaar ein Kind adoptiert? Stefan Wolle widerspricht der Journalistin Anna Messner, die vor fast einem Vierteljahrhundert mit der arbeits- und mittellosen, schwer akoholkranken Beate sprach und politische Absichten hinter der angestrebten Vater-Mutter-Kind-Idylle vermutet. Der Historiker konzediert Walter und Lotte Ulbricht, wahrhaft ein normales Familienleben, privates Glück erhofft zu haben. Dass ihnen dies letztlich nicht beschieden war, mag in Moskauer Jahren angelegt gewesen sei, als Disziplin und Härte auch auch gegenüber sich selbst angesagt und Mitgefühl gefährlich war. Doch jeder schaue und urteile selbst. Wem die durch den Sender mit dem seit dem Oder-Neiße-Friedensvertrag und spätestens seit der Neuen Ostpolitik unpassenden, ja revanchistisch anmutenden Namen »Mitteldeutschland« vermittelten Informationen ungenügend oder einseitig erscheinen, der sei auf die Erinnerungen »Lotte Ulbricht - Mein Leben. Selbstzeugnisse, Briefe und Dokumente« (Das Neue Berlin, 2003) verwiesen.

»Lotte Ulbricht - Zwischen Parteidisziplin und Mutterrolle«, mdr, 2.8., 20.15 Uhr

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