Brudermord im Schwurgericht

In der JVA Naumburg zeigt ein Kunstverein eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Ausstellung

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 5 Min.
Eine Ausstellung in Naumburg (Sachsen-Anhalt) mit Werken der »Düsseldorfer Malerschule« zeigt nicht nur Kunst. Sie geht auch der Frage nach, was einen Mörder von einem Henker unterscheidet.

Die Naumburger Ausstellung »Brudermord im Schwurgericht« mit Meisterwerken und Skizzen der »Düsseldorfer Malerschule« - wie eine Gruppe von Malern bezeichnet wird, die zwischen 1819 und 1918 an der Düsseldorfer Kunstakademie wirkte - ist alles andere als normal.

Das fängt schon mit dem Ausstellungsort an. Das zwischen 1855 und 1859 nach Plänen von Reinhold Persius erschaffene Gebäude war ein Königlich-Preußisches Schwurgericht. Nachdem die Schwurgerichte abgeschafft wurden, gehörte es ab 1924 zur Justizvollzugsanstalt Naumburg bis zu deren Auflösung im Herbst 2012. Seitdem steht es leer. Tausende saßen hier ein, kleine Ganoven genau so wie Schwerverbrecher und zu DDR-Zeiten auch viele sogenannte politische Häftlinge.

Dass der selbst für die Einwohner unbekannte Ort mitten in der Stadt im Mai erstmals nach rund 100 Jahren und dann noch als Ausstellungsgebäude für jedermann öffnete, hat seinen Grund vor allem in einem Gemälde. Das Bild wurde vom Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, Eduard Bendemann, 1864 als Auftragswerk speziell für das Naumburger Schwurgericht geschaffen. Das 3,60 mal 5,60 Meter große Monumentalgemälde »Der Tod Abels« thematisiert das erste Verbrechen der Menschheitsgeschichte: den Mord Kains an seinem Bruder Abel. Vom künstlerischen Wert abgesehen besteht das eigentlich bemerkenswerte des Gemäldes in dessen inhaltlicher Aussage: Gott urteilt über den Mord und verkündet Strafe (Vertreibung Kains aus dem Paradies) und Gnade (er schenkt ihm das Leben) zugleich. Gott als Richter erscheint als zentrale Figur zwischen einem betenden Engel als Verkörperung der gnadenbringenden Liebe und dem Erzengel Michael mit dem Schwert als Symbol des gerechten Gerichts.

Da das Bild im repräsentativen säulengesäumten Treppenaufgang des Schwurgerichts hing, den nur die Richter und Geschworenen betreten durften, richtete sich seine Symbolik ausschließlich an sie, indem es sie täglich mahnte, gerecht zu urteilen und alle Tatumstände prüfend in die Waagschale zu legen, bevor sie ihr Urteil sprechen.

Welcher Ort also wäre besser geeignet gewesen für eine Ausstellung mit Werken der Düsseldorfer Malerschule - die im 19. Jahrhundert eine ähnliche Bedeutung hatte wie heute die Neue Leipziger Schule - als der Ort, an dem sich deren einziges wandgestaltendes Monumentalgemälde befindet, das noch am ursprünglichen Ort hängt? Die Idee, die Ausstellung nach Naumburg zu holen und dann noch an diesen historischen Ort, kam dem 2002 gegründete Verein Kunst in Naumburg e. V. nach dem Besuch einer Ausstellung von Werken der Düsseldorfer Malerschule in Kronenburg in der Eifel. Es wäre doch toll, eine repräsentative Auswahl von Werken der Malerschule auch in Naumburg zu zeigen, waren sich die Vereinsmitglieder einig. Als es dann darum ging, einen würdigen Ausstellungsort für die wertvollen Leihgaben aus verschiedenen Einrichtungen und aus Privatbesitz zu finden, rückte ganz schnell das Verwaltungsgebäude der ehemaligen JVA in den Fokus. Kein anderes Gebäude war besser geeignet als das »Zuhause« von Bendemanns inhaltsschwerem Monumentalwerk, das man somit gleichzeitig erstmals der Öffentlichkeit als eines der herausragenden Kunstwerke der Düsseldorfer Malerschule zeigen konnte. Darüber hinaus bot die Installation der Ausstellung an diesem Ort eine großartige Chance, das seit fast drei Jahren leer stehende Gebäude - um dessen künftige Nutzung schon eine ganze Weile diskutiert wird - als künftigen Kultur- und Kunstort zu empfehlen. Mit einem symbolträchtigen Signal: Der Ort, der einst Gefängnis und Unfreiheit bedeutete, wird zum Ort der Freiheit der Bürger, Kunst und Geschichte zu erleben.

Neben dem »Tod Abels« sind auch eine Reihe von Arbeitsskizzen Bendemanns zu seinem Gemälde zu sehen, Leihgaben aus dem Berliner Kupferstichkabinett und der Kunstsammlung der Universität Göttingen. Die rund 100 Ausstellungsstücke zeigen einen guten Querschnitt der Malweise jener Malerschule - Landschaftsbilder, Porträts, romantische Momentaufnahmen, Stillleben.

Die Ausstellung will aber mehr bewirken, als »nur« Werke der vielen im Osten Deutschlands nicht so bekannten Künstlergruppe zu zeigen. »Bendemanns Gemälde soll die Betrachter auch anregen, darüber nachzudenken, was ein Mord eigentlich ist. Wie auch darüber, was einen Mörder von einem Henker unterscheidet«, sagt Guido Siebert, der Kurator der Ausstellung. Auch im Naumburger Gefängnis wurden Menschen zum Tode verurteilt und exekutiert: 29 Todesurteile fällten die Richter zwischen 1865 und 1935, zehn davon wurden hier vollstreckt.

Im ehemaligen völlig dunklen Häftlingsraum neben dem Schwurgerichtssaal können Besucher den Schicksalen von in Naumburg zum Tode Verurteilten und Hingerichteten spürbar begegnen - Klangkollagen und von Rolf Hoppe gesprochene Gedanken von Todeskandidaten bewirken, dass das Thema im wahrsten Sinne des Wortes einem unter die Haut geht und man sich Fragen nach Recht, Gerechtigkeit, Rache und Unrecht in verschiedenen gesellschaftlichen Zeiträumen stellt.

Bestandteil der Exposition sind eine Reihe von Sonderführungen durch die verschiedenen Gebäude der ehemaligen Justizvollzugsanstalt, zahlreiche Vorträge und Gesprächsrunden rund um die Ausstellung und den Ausstellungsort. Es gibt verschiedene Kunstworkshops und Mitmachveranstaltungen, die sich vor allem an Kinder und Jugendliche richten.

Außergewöhnlich an der Ausstellung, die ohne großzügige Leihgeber und das Sponsoring von vielen Naumburger Firmen und Institutionen gar nicht möglich gewesen wäre, ist, dass sie ausschließlich auf ehrenamtlicher Arbeit fußt. Alle, die hier Führungen anbieten, Aufsicht führen oder im Besucherkaffee arbeiten, machen das in ihrer Freizeit. Somit beweisen die engagierten Mitglieder des Naumburger Kunstvereins, dass die altbekannte dialektische Einheit von Kunst und Geld zwar die Regel ist, es aber glücklicherweise auch Mut machende Ausnahmen gibt.

»Brudermord im Schwurgericht«; Schwurgericht Naumburg, Am Salztor 6, noch bis zum 30. August; außer montags täglich von 10 bis 18 Uhr, freitags bis 20 Uhr; Informationen im Internet unter www.brudermord-im-schwurgericht.de

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