Werbung

Ungestrafte Dopingvergehen in der Leichtathletik enthüllt

Brisante Blutwerte bei mehr als 800 Athleten entdeckt. Der Weltverband steht dabei unter Verschleierungsverdacht

  • Andreas Schirmer, Kuala Lumpur
  • Lesedauer: 4 Min.
Dem Weltverband IAAF wird vorgeworfen, eine große Zahl von Leichtathleten mit dopingverdächtigen Blutwerten nicht sanktioniert zu haben. Dies gehe aus einer IAAF-Liste mit 5000 Sportlern hervor.

Hochbrisante Dopingvorwürfe gegen den Leichtathletikweltverband haben Entsetzen und Empörung ausgelöst. Eine große Zahl von Blutproben mit verdächtigen Werten soll von der IAAF geheim gehalten und nicht sanktioniert worden sein. Von Zuständen wie vor 20 Jahren im damals hochgradig dopingverseuchten Radsport ist die Rede. »Das ist sehr alarmierend. Wir sind verstört über das Ausmaß der wilden Anschuldigungen. Das Fundament eines jeden sauberen Athleten weltweit wird erneut erschüttert«, sagte Craig Reedie als Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) am Sonntag in Kuala Lumpur. Gut drei Wochen vor der WM in Peking steht die Leichtathletik inmitten einer Glaubwürdigkeitskrise.

Die ARD und die »Sunday Times« haben eine Liste mit 12 000 Bluttests von rund 5000 Läufern ausgewertet. Sie stammen nach ARD-Angaben aus der IAAF-Datenbank. Darunter sollen 800 Sportler - darunter nach Informationen des Antidoping-Experten Fritz Sörgel auch deutsche Athleten - mit dopingverdächtigen Werten sein, die von 2001 bis 2012 bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften in den Disziplinen von 800 Meter bis zum Marathon gestartet sind. Ein Großteil dieser Athleten, darunter angeblich 146 olympische Medaillengewinner und Weltmeister, sei dafür nicht belangt worden.

»Nur gegen ein Drittel von ihnen läuft ein Verfahren oder sie sind bereits gesperrt. Die restlichen zwei Drittel sind nie überführt worden«, hieß es in einer Mitteilung von ARD und WDR, die darüber in der Dokumentation »Geheimsache Doping: Im Schattenreich der Leichtathletik« berichteten.

»Ich habe niemals so alarmierende, unnormale Blutwerte gesehen«, sagte der australische Antidoping-Experte Robin Parisotto, der mit Michael Ashenden die Daten ausgewertet hat. »Es sieht so aus, als wären viele Athleten straflos davon gekommen.«

Nach ihren Angaben hat jeder dritte auf der Liste aufgeführte Athlet mit verdächtigen Blutwerten eine Medaille gewonnen. Bei jedem sechsten Medaillengewinner sei sich mindestens einer der Wissenschaftler so gut wie sicher, dass der Athlet im Laufe seiner Karriere gedopt hat. Fritz Sörgel sieht es ähnlich. »Es überrascht doch niemanden, dass da so viele Leichtathleten verdächtige Werte haben, wenn man auch alle Werte aus der Zeit vor der Einführung des Blutpasses einbezieht«, fügte Sörgel hinzu. »Wegen der Menge und weil sie aus einer Zeit des fröhlichen, unbeschwerten Blutdopings stammen. Sie werden helfen, die Zuverlässigkeit des Blutpasses zu erhöhen. Solche Daten kriegt man doch im Zeitalter des geschickten Mikrodosierens nicht mehr.«

Der Weltverband hat offenbar weggeschaut. »Der Verband hätte eigentlich sehen müssen, wie die schreckliche Wahrheit unter der Oberfläche aussah«, kritisierte Ashenden die Anti-Doping-Politik der IAAF. »So ist es meiner Meinung nach eine schamlose Vernachlässigung ihrer elementaren Pflicht, ihren Sport zu überwachen und die sauberen Athleten zu schützen.«

Die IAAF weist jede Kritik am Ergebnismanagement zurück und betont, methodisch verlässlich zur Feststellung von Doping seien ausschließlich Analysen, die den strengen Testanforderungen des Biologischen Passes für Athleten folgen. »Jeder andere Ansatz, insbesondere das Nutzen von Daten, die über einen längeren Zeitraum zu verschiedenen Zwecken, unterschiedlichen Zielen und mit unterschiedlichen Analysemethoden erfasst wurden, ist nichts als Spekulation«, heißt es in einer IAAF-Stellungnahme.

»Die Vorwürfe im Film sind natürlich frustrierend, aber andererseits ist ein Dopingverdacht - wie im Film selbst betont wird - noch nicht ein Nachweis des Dopings«, meinte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes. Es gelte nun die Vorwürfe und Verdachtsmomente aufzuklären und für die Zukunft Strukturen aufzubauen, um die Effizienz der Dopingbekämpfung noch zu verbessern.

Auch der frühere Weltklasse-Stabhochspringer Sergej Bubka fordert als IOC-Exekutivmitglied Konsequenzen. »Wir akzeptieren keine Regelverstöße. Jedem sollte klar sein, dass es keinen Platz für Betrüger gibt. Nicht in der Leichtathletik, nicht in anderen Sportarten, nicht in der olympischen Bewegung.«

Die WADA hat eine Kommission unter der Führung ihres früheren Präsidenten Richard Pound mit der Aufklärung der Anschuldigungen gegen die IAAF beauftragt. Sie war Anfang des Jahres gebildet worden, um die ebenfalls in einer ARD-Doku erhobenen Vorwürfe eines systematischen Dopings in Russland zu untersuchen. »Ich hatte gehofft, den Bericht im September fertig zu haben. Nun sieht es so aus, als wenn es noch etwas länger dauert«, sagte Pound. dpa

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal