nd-aktuell.de / 04.10.2006 / Politik

Die »Wolfsschlucht«

PARTEIHOCHSCHULE

Norbert Podewin
Vor 60 Jahren, unmittelbar nach der Vereinigung von KPD und SPD, wurde im Mai 1946 der »Aufbau des Schulungssystems in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands« beschlossen. Ein Institut zur Heranbildung qualifizierter Kader sei zu gründen. Die ersten Kurse begannen in Liebenwalde, bereits im Januar 1948 siedelte man nach Kleinmachnow um, 1955 zog man in Berlins Mitte, in die Rungestraße. Mitte der 70er rundete ein moderner Anbau am Köllnischen Park den Komplex Parteihochschule ab. Insgesamt mehr als 25 000 Teilnehmer, darunter etwa 2100 Studierende aus 67 Entwicklungsländern, absolvierten das »Rote Kloster« oder die »Wolfsschlucht«, eine Anspielung auf die langjährige Direktorin Hanna Wolf (1950 bis 1983). Die PHS war eine staatlich anerkannte Hochschule, zugleich aber ein Bereich des zentralen Parteiapparates, was die Lehrkräfte häufig vor den Gewissenskonflikt stellte, Wissenschaftler und/ oder Parteifunktionär zu sein. Das macht jeder der 15 Beiträge an spezifischen Beispielen deutlich. Ereignisse wie Stalins Tod 1953, der mit dem Mauerbau 1961 von Walter Ulbricht beschrittene Reformweg des Neuen ökonomischen Systems (NÖS) und dessen Abbruch unter Erich Honecker waren auch persönliche Zäsuren vor allem für die Lehrer. Die Autoren stellen sich, kritisch und selbstkritisch zugleich, aus der Rückschau dieser Aufgabe. Mehrere Beiträge greifen das bereits titelnd auf: »Ware-Geld-Beziehungen und Wertgesetz im Sozialismus«; »Über den genossenschaftlichen Weg der Bauern zu einer modernen Landwirtschaft«; »Zur Arbeit des Lehrstuhls "Lehre von der marxistisch-leninistischen Partei, dem Parteileben und dem Parteiaufbau"« sowie »Zur Arbeit des Thälmann-Instituts (Institut für Ausländerstudium) der Parteihochschule der SED«. Deutlich erkennbar wird, dass die Zwitterstellung - wissenschaftliche und Partei-Institution - nicht permanent in ein einseitiges Weisungsverhältnis seitens der Zentrale mündete. Wissenschaftliche Diskussionen zu Streitfragen bewirkten auch mehrfach »oben« stillschweigende Korrekturen oder Duldungen. Förderlich war die Praxis von Gastlektoren aus Wirtschafts- und Wissenschaftseinrichtungen. Auch sorgten namhafte Politiker aller Kontinente für neue Denkanstöße. Die Parteihochschule der SED hatte bei Bruderparteien ein hohes Ansehen. Ihr Name stand für Qualität im Sinne schöpferischer Vermittlung des Marxismus. Das warf in schöner Regelmäßigkeit die ewige Frage nach Übereinstimmung von Theorie und Praxis auf. Die Abwicklung der Parteihochschule im Sommer 1990 war ebenso radikal wie unsozial. Hochqualifizierte Lehrkräfte wurden in die Arbeitslosigkeit verbannt. Uwe Möller/Bernd Preußer (Hg.): Die Parteihochschule der SED - ein kritischer Rückblick. GNN, Schkeuditz. 275 S., br., 15 EUR.