nd-aktuell.de / 04.08.2015 / Kultur / Seite 14

Pelzige Dinger, die im Dunkel lauern

Das Fantasy-Filmfest, das morgen beginnt, hat allerlei im Angebot: Killer, Kunstblut und Dinge im Kofferraum

Thomas Blum
Das Fantasy-Filmfest richtet seinen Fokus auf das, was in der Mainstreamunterhaltung unter den Tisch fällt: todbringende Seuchen, schleimige Parasiten und nie Entdecktes, das in dunklen Kellerverschlägen geschieht. Am Mittwoch beginnt das Festival.

Wir sehen den über ein paar ordentliche Lines Koks gebeugten Kopf eines jungen Mannes in Großaufnahme und hören die Schniefgeräusche. Die Kamera fährt langsam abwärts, und der Blick des Zuschauers fällt auf edles, glänzendes, handgemachtes britisches Designerschuhwerk, auf das, so beobachten wir, auch etwas von dem weißen Marschierpulver gefallen ist, doch schließlich kommt ein hässlicher Rassehund ins Bild und leckt die Kokainreste genüsslich ab.

Wir befinden uns in der Mitte der 90er Jahre, in einer Zeit also, die unendlich lange zurückliegt. Es war eine bizarre Zeit, in der Menschen noch so absurde Dinge getan haben wie Tonträger zu kaufen. Doch nicht nur das, es gab noch Absurderes: Es gab auch Großkonzerne, die Tonträger verkauften und, so wird Owen Harris’ Film »Kill your Friends« nicht müde zu zeigen, reich davon wurden. In der Folge ernährten sich die leitenden Angestellten der Konzerne tagein, tagaus ausschließlich von Kokain, Ecstasy und Champagner. Kaum eine Szene im Film, die ohne Champagnerkelche und zusammengerollte Geldscheine auskommt. Denn in der Musikindustrie der 90er Jahre wurde noch Geld verdient, viel Geld. Es war die goldene Zeit, als das Internet noch etwas war, mit dem von ein paar unverständliches Zeug redenden Nerds und Computerspinnern an Universitäten gespielt wurde.

»Kill your friends«, die Verfilmung des gleichnamigen Romans des ehemaligen Musikindustrie-Managers John Niven, der Eröffnungsfilm des diesjährigen Fantasy-Filmfests, eine schwarze Komödie um einen bei einem großen Unternehmen der Musikindustrie arbeitenden Angestellten, führt uns zurück in diese längst vergangenen Tage.

Steven Stelfox heißt der leitende A&R-Manager. A&R steht für »Artist & Repertoire«. Stelfox zählt zu jenen Erfüllungsgehilfen der Unterhaltungsindustrie, zu deren Aufgabe es gehört, »den Geschmack von Millionen geschmacklosen Schwachköpfen zu antizipieren und zu modellieren« und dem Unternehmen Hits zu verschaffen, d.h. ihm Geld aufs Konto zu spülen. Gelingt ihm das nicht, wird er durch einen anderen ersetzt. Er ist jung, dynamisch, attraktiv, gewissenlos. Vor allem aber ist er ein durch und durch egoistischer, verlogener, gemeiner, bösartiger, kaltschnäuziger, niederträchtiger, zynischer Klumpen Scheiße. Ein kalt lächelnder Schweinehund, der die Gesetze der Branche kennt, nämlich Lüge, Betrug und Heuchelei, und über Leichen geht. Sonst zeichnet den Mann nichts aus. Wozu auch? In der Musikindustrie, so lernen wir aus dem überaus kurzweiligen Film, reichen die soeben genannten Wesenszüge.

Denn dort tobt - wie im Großen (Gesellschaft), so auch im Kleinen (Arbeitsplatz) - ein beständiger Krieg aller gegen alle: Der Talentscout will A&R-Manager werden, die Sekretärin will Talentscout werden, der A&R-Manager will Chefmanager werden. Und wie es im Krieg nun mal zugeht: Wer nicht funktioniert, nicht rechtzeitig handelt, das Falsche sagt, das Falsche tut, wird rasch ausgemustert oder bleibt auf dem Schlachtfeld zurück. Und zwar ganz wörtlich gemeint, d.h. in einer Badewanne unfachmännisch in Einzelteile zerlegt. Oder mit zertrümmertem Schädel, der hässliche Blutflecke auf dem teuren Teppichfußboden hinterlässt.

Stelfox ist ein Wiedergänger von Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis’ Roman »American Psycho«: ein Mann ohne Eigenschaften, austauschbar, ohne Meinung, ohne Ethos, ohne Geschichte, ein Samurai des Spätkapitalismus, der tut, was er tun muss, sich anpasst an die gesellschaftlichen Moden und Regeln der Gegenwart: das tun, was alle tun (nur erfolgreicher), andere aus dem Weg räumen, aufsteigen, by any means necessary.

Und das Beste ist: Niemand interessiert sich wirklich für Musik. Stelfox selbst am allerwenigsten. Warum auch? Schließlich hat es nicht die geringste Bedeutung, ob Pflanzenschutzmittel, Duschvorhänge, Atomsprengköpfe oder Musik verkauft werden. Das eine ist wie das andere. Konsumenten kaufen das Zeug. Allein das zählt. Einen Musikmanager nach seiner »Lieblingsmusik« zu fragen, ist daher das Dümmste, was man tun könnte. Es käme ja auch niemand auf die Idee, einen Investmentbanker zu fragen, welches seine Lieblingswährung ist, wie es im Film »Kill your friends« an einer Stelle heißt: Weder interessiert sich der A & R-Manager für Musik noch der Börsenhändler für Währungen. Beide interessieren sich ausschließlich für Profit. Und unschöne Todesarten bleiben hier genauso wenig aus wie bei anderen Filmen des Festivals.

So ist das beim Fantasy-Filmfest, das nun seit Ende der 80er Jahre Jahr für Jahr in einigen deutschen Großstädten originelle neue Produktionen aus den Genres Horror, Thriller, Schwarze Komödie und Science Fiction zeigt, die nur selten in unsere Kinos kommen: Der Mensch ist nicht mehr Krone der Schöpfung, nicht mehr strahlender Held, sondern Knecht seiner Instinkte, Getriebener seines Wahns, Opfer der miesen Schweine, die er wenige Minuten zuvor noch für seine Freunde gehalten hat, die aber eben jetzt entschieden haben, ihn auf einem Operationstisch festzuschnallen und ihm mit für diesen Zweck ungeeigneten Gerätschaften zentrale Körperteile abzusägen. Soeben hat er sich noch, die Aktentasche in der einen, den Kaffeebecher in der anderen Hand, an der Haustür morgens frohgemut von seiner Frau und seinen Kindern verabschiedet und sein gebügeltes Hemd glattgestrichen, wenige Stunden später findet er sich in einem nur mäßig gesicherten Kellerraum wieder, wo er von einer schwer überschaubaren Horde blutrünstiger Zombies umlagert wird. Das kann schon mal passieren.

Die im Rahmen des Fantasy-Filmfests gezeigten Filme blicken auf die Unvollkommenheit des Menschen: seine niederen Instinkte, Habgier, Missgunst, Rachsucht, Sadismus, und seine Verwundbarkeit und Sterblichkeit. Und auf das Chaos, das ausbricht, wenn der vielzitierte dünne Firnis der Zivilisation abblättert und die wahre Raubtiernatur des Menschen zum Vorschein kommt.

Denn, nicht zu vergessen, da wäre auch noch sein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt: In legalisierter und staatlich gelenkter Form gilt sie als Segen (Militär, Justiz, Exekutive) und als notwendig zur Aufrechterhaltung der Ordnung, in ihrer unerlaubten und unkontrolliert ausgeübten Form (Ritualmord, Amoklauf, gewaltsamer Aufstand) wird sie als Verbrechen gewertet. Tatsächlich ist das ein Märchen, das so oft erzählt wurde, dass alle es glauben. Irgendwann ist nicht mehr genau auseinanderzuhalten, was den Polizisten, der Häftlinge zu Tode foltert oder Zeugen um die Ecke bringt, vom psychotischen Serienkiller unterscheidet. In »Cop Car« von Jon Watts beispielsweise finden zwei Zehnjährige, die von zuhause ausgerissen sind, in der ländlichen Ödnis einen Polizeiwagen, den sie kurzerhand kapern und mit dem sie ausgelassen in der Gegend herumfahren. Was sie, genauso wie der Zuschauer, lange Zeit nicht wissen, ist, was sich im Kofferraum des Autos befindet und welche Art Psychopath der Polizist ist, der schon auf der Suche nach ihnen ist.

Das Fantasy-Filmfest richtet seinen Fokus auf all jenes, das in der Mainstreamunterhaltung gern unter den Tisch fällt: todbringende Seuchen und schleimige Parasiten, die uns von innen auffressen, unschöne pelzige Wesen, die im Dunkel lauern und die es mit grobem Werkzeug zu zerschmettern gilt (»Howl«), nie Entdecktes, das in dunklen Kellerverschlägen geschieht, rohe Gewalt und Missbrauch, Leben und Sterben nach der Apokalypse. Und immer wollen die Filme auch Abbild und Spiegel einer Gesellschaft sein, der die Lüge und der schöne Schein zur zweiten Natur geworden ist.

Das können Splatter-Opern sein, die ihren Schauwert hervorkehren und in ihrer geradezu schwelgerischen Ästhestisierung von Gewalt neue, moderne Formen zu deren filmischer Darstellung suchen, es können aber auch eher karg inszenierte, stille, düstere Kammerspiele sein, die tiefe Blicke gewähren in das Wesen des Menschen und uns die Kaputtheit und Armseligkeit der heillosen Welt vor Augen führen, in der wir leben.

29. Fantasy-Filmfest, 5. bis 16. August im Cinestar Sony Center am Potsdamer Platz, täglich werden vier bis sechs Filme gezeigt, Ticket pro Vorstellung: 9,50 €. Der Eröffnungsfilm »Kill your friends« läuft morgen Abend um 20 Uhr.