Nadelöhr im Wüstenmeer

Der Ausbau des Suezkanals soll die Transportkapazitäten verdoppeln

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Ausbau des Suezkanals könnte den Welthandel beflügeln. Allerdings fehlte zuletzt der Bedarf an noch mehr Gütertransporten.

Der Suezkanal betrifft uns alle: Ob T-Shirts in der Modeboutique, Computer beim Elektronikdiscounter oder Karosserieteile vieler Autos - sie alle werden in Containern aus Asien durch den Suezkanal nach Deutschland transportiert. Auch Öltanker aus der Golfregion passieren die längste künstliche Wasserstraße der Welt. Doch der gewachsene Schiffsverkehr hat diese zu einem Nadelöhr der globalen Wirtschaft geschrumpft: Pro Tag können im Schnitt nur 49 Schiffe den engen Kanal passieren. Ein neuer Bypass soll die Kapazität verdoppeln.

Die Einweihung am 17. November 1869 eröffnete den Dampfschiffen just einen kurzen Weg zum Orient, als die Verbesserung von Dampfkesseln und Maschinen den Kohleantrieb wettbewerbsfähig machte. Die schönen, alten Segler verloren durch den Suezkanal das Rennen um den Frachtverkehr zwischen den Kontinenten endgültig, denn sie mussten weiterhin den mehr als 5000 Seemeilen langen Weg rund um Afrika nehmen.

Der 193,3 Kilometer lange Kanal war beinahe von Anfang an wirtschaftlich erfolgreich. Doch der Preis war hoch. Tausende Arbeiter, die der französische Graf Ferdinand de Lesseps für sein Projekt angeheuert hatte, bezahlten das größte Bauvorhaben seiner Zeit mit Gesundheit und Leben. Für Bau und Betrieb war eine von Graf Lesseps und dem befreundeten ägyptischen Vizekönig Muhammad Said gegründete Aktiengesellschaft zuständig. Bis Präsident Gamal Abdel Nasser den Kanal 1956 nationalisierte.

Der »neue Suezkanal« soll künftig größeren Schiffen die Passage erlauben. Dazu wurde ein 35 Kilometer langer zweiter Kanal parallel zur Urstrecke gegraben. Zu dem Projekt gehört auch der Bau von sechs Tunneln, um die Gouvernements Port Said und Ismaila anzubinden. Bis zu 40 000 Arbeiter, ausgerüstet mit modernster Technik wie Schwimmbagger und GPS-Ortung, waren laut der staatlichen Suez Canal Authority (SCA) beschäftigt. Zusätzlich wurde der alte Kanal auf 37 Kilometern vertieft und verbreitert, um im Unterschied zum Panamakanal selbst den dicksten Pötten eine Durchfahrt zu ermöglichen.

Vor allem aber wird Schiffsverkehr in beide Richtungen gleichzeitig möglich. Die Kapazität soll dadurch auf 97 Schiffe aller Art täglich steigen. Zur Freude auch hiesiger Transporteure: »Bisher mussten Handelsschiffe bis zu einem halben Tag warten, um den Kanal im Konvoi zu passieren«, erklärt Ralf Nagel, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder. Nun entfielen solch lange Wartezeiten.

»Ein Geschenk Ägyptens an die Welt« nennt die Kanalgesellschaft den Ausbau. Umgerechnet rund 7,5 Milliarden Euro soll es gekostet haben. Gebaut wurde das Prestigeprojekt in Rekordzeit von rund einem Jahr. Beteiligt waren sechs Unternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, den Niederlanden, Belgien und den USA sowie zwei Bataillone der ägyptischen Armee. Um allerdings die volle Kapazität zu erreichen, bedarf es weiterer Baumaßnahmen, die 2023 abgeschlossen sein sollen. Die Gebühreneinnahmen sollen von 5,3 Milliarden US-Dollar im laufenden Jahr auf dann 13,2 Milliarden steigen, was einem Siebtel des heutigen Staatshaushaltes Kairos entspräche.

Die Lebensader der ägyptischen Wirtschaft ist jedoch verwundbar - durch Terroristen und die jüngste Schifffahrtskrise. In den letzten Jahren schickten Reeder viele Frachter auf Langsamfahrt um Afrika herum, um ihre Kapazitäten auszulasten. Zeit war plötzlich nicht mehr Geld. Und die stark gefallenen Schiffsdieselpreise könnten die Höhe der Kanalgebühren deckeln, bis zu der sich die Abkürzung zwischen Asien und Europa entlang der politisch unruhigen Sinai-Halbinsel für Reedereien lohnt.

Ägyptens Regierung will dennoch mehr Kapital aus dem Kanal schlagen. An den Endpunkten sollen Lagerhallen und Logistikzentren entstehen. Logistik- und Industriefirmen, IT und Telekommunikation sollen am neuen Wasserweg in einer »Suez Canal Zone« angesiedelt werden. Ebenfalls Glas-, Zement- und Textilproduktion. Russland zeigt bereits Interesse am Aufbau eines Industriegebiets, in dem Landtechnik produziert werden könnte. Und China soll die Entwicklung einer gemeinsamen Sonderwirtschaftszone mit Ägypten planen. Zudem zieht der neue Suezkanal die Aufmerksamkeit von Investoren aus Japan und Zypern, Großbritannien und USA, Ländern des Golfkooperationsrates sowie weiterer Staaten auf sich.

Deutschlands Außenhandelsorganisation Germany Trade & Invest sieht gute Chancen für deutsche Investoren. »Der zweite Suezkanal-Korridor bietet vielfältige Anknüpfungspunkte«, schreiben deren Experten.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wird sich gewiss schon mal umhören. Nach nd-Informationen wird er Deutschland am Donnerstag bei der Eröffnungsfeier am Ufer des Kanalneubaus vertreten, zu der rund 5000 Ehrengäste erwartet werden.

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