nd-aktuell.de / 04.10.2006 / Brandenburg

»Ich mach's« - Arbeitslose gründet Kaufhaus

Für den Sprung aus Hartz IV in die Selbstständigkeit braucht man Mut und Freunde. Eva Willig hat beides.

Anke Engelmann
Aus Hartz IV in die Selbstständigkeit - wie schwer das ist, erfährt gerade Eva Willig. Ein »Kaufhaus für die Sinne« will die 58-Jährige Langzeitarbeitslose eröffnen, mit einer Partnerin, die auch schon über 50 ist, Kräuter, Blumen, Kunsthandwerk, Bilder und Wohnaccessoires verkaufen. Eine kleine Galerie ist angeschlossen, Veranstaltungen sind geplant. Die Alternative - »stehenden Fußes in die Altersarmut« - kam für die resolute Frau nicht in Frage. Also kratzt sie die notwendigen Mittel irgendwie zusammen: »Den Dispo bis auf Anschlag«, Kaution und Kommission strecken der Lebensgefährte oder Freunde vor. Eröffnungstermin soll der 6. Oktober sein - wenn nichts dazwischen kommt. Allerdings kommt was dazwischen: Ab 5. Oktober wurde die künftige Unternehmerin vom Jobcenter zu einer Weiterbildungsmaßnahme verpflichtet, berichtet sie, ihr mit Kürzung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) gedroht, sollte sie fernbleiben. Man hätte jemanden, der sie für die Selbstständigkeit coachen würde, hieß es. Eva Willig ist sauer: Rentabilitätsvorschau, Konzept, Gewinn-und-Verlust-Rechnung, Liquiditätsplanung, alles hat sie lange fix und fertig und eingereicht. Ein Coaching hätte sie gewollt, allerdings ein bisschen eher - und sich den Berater gern selbst ausgesucht. Auch sonst sei die Unterstützung durch das Jobcenter Neukölln mau ausgefallen. Anträge auf ein Darlehen und eine Beschäftigte seien bislang nicht bewilligt. »Ich mach's trotzdem«, sagt Eva Willig. Jobcenter seien nunmal keine Banken, erklärt Dietmar Jarkow, Geschäftsführer des Jobcenters Neukölln. Generell sei für ALG II-Empfänger der Einstieg in die Selbstständigkeit schwieriger, denn viele Förderinstrumente sind Empfängern von Arbeitslosen- geld I vorbehalten. Das Jobcenter kann mit einem Einstiegsgeld (50 Prozent des Arbeitslosengeldes) unter die Arme greifen, erläutert Jarkow: also 172,50 Euro zu den 345 Euro ALG II. In Ausnahmefällen können auch 100 Prozent gewährt werden. Die Laufzeit beträgt laut Jarkow in der Regel ein Jahr. Dann überprüfe das Jobcenter, ob sich die Geschäftsidee bewährt hat. Parallel könne man Darlehen für besonderen Bedarf wie Kleidung oder ähnliches gewähren, unter Umständen auch ein begleitendes Coaching - alles für maximal 1500 Euro. Auf derartige Leistungen haben die Erwerbslosen jedoch keinen Rechtsanspruch. Ob es Geld gibt, liegt im Ermessen der jeweiligen Sachbearbeiter. Bei Investitionen in größerem Umfang sei die Investitionsbank Berlin (IBB) der richtige Ansprechpartner, rät Dietmar Jarkow. Der finanzielle Spielraum ist klein. Als Hartz IV-Empfänger kann man keine Rücklagen bilden und nur einen Teil des Gewinns behalten. Alle Umsätze und Gewinne müssen gemeldet werden. Nach einem komplizierten Verrechnungsverfahren bleiben am Ende 10 bis 17 Prozent übrig, erzählt Andreas Lutz, ein Existenzgründer, der mit www.gruendungszuschuss.de eine Internetseite mit entsprechenden Informationen betreibt. Doch immerhin ist man als Hartz IV-Empfänger kranken- und rentenversichert. Am 6. Oktober von 15 bis 20 Uhr Eröffnung von »Alche Milla« in der Gneisenaustraße 57, Nähe U-Bahnhof Südstern.