nd-aktuell.de / 13.08.2015 / Politik / Seite 5

Amnestie für Sexarbeit

Menschenrechtsorganisation will Prostituierte schützen

Meike Stolp, London
Gestützt auf die Befragung von 200 Prostituierten hat Amnesty International beschlossen, sich künftig für die Entkriminalisierung »aller Aspekte von einvernehmlichem käuflichem Sex« einzusetzen.

Bei der Hauptversammlung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, dem International Council Meeting (ICM), haben die Delegierten am Dienstag eine wegweisende Entscheidung getroffen. Amnesty will sich künftig für die »Entkriminalisierung aller Aspekte einvernehmlicher Sexarbeit« einsetzen. Bei dem Treffen in Dublin hat die Mehrheit der 400 Delegierten aus 70 Ländern einer entsprechenden Resolution zugestimmt. »Diese Politik wird Staaten dazu aufrufen sicherzustellen, dass Prostituierte vollen und gleichen rechtlichen Schutz vor Ausbeutung, Menschenhandel und Gewalt erhalten«, hieß es dazu in dem Dokument.

Die in London ansässige Organisation begründete ihre Entscheidung damit, dass Entkriminalisierung der beste Weg sei, die Rechte von SexarbeiterInnen zu verteidigen. Prostituierte seien eine der am meisten vernachlässigten Gruppen der Welt, erklärte Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty, »die in den meisten Fällen ständig dem Risiko von Diskriminierung, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind«. Durch die Legalisierung will Amnesty die Diskriminierung der Sexarbeiter mindern, die aufgrund der Kriminalisierung häufig aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen werden. Shetty sprach von einem historischen Tag.

Leichtfertig oder übereilt sei die Entscheidung nicht gefallen, so Shetty. Amnesty sei sich bewusst, dass es sich dabei um ein komplexes Menschenrechtsthema handele. Deswegen habe man es aus der Perspektive internationaler Menschenrechtsstandards aufgegriffen. Shetty spielte damit darauf an, dass sich Amnesty nach eigenen Angaben zuvor zwei Jahre lang mit Forschungsmaterial von UN-Behörden, Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsanwälten zu dem Thema beschäftigt hat. Es seien auch 200 Prostituierte aus verschiedenen Ländern wie Norwegen, Papua-Neuguinea, Argentinien und Hongkong befragt worden. Bei der Recherche sei klar herausgekommen, dass Prostituierte in jenen Ländern, in denen das Gewerbe verboten ist, deutlich mehr unter Gewalt, Ausbeutung und Stigmatisierung litten.

Kritik an der 1961 gegründeten Menschenrechtsorganisation kam prompt aus verschiedenen Ecken. Die Britin Fiona Broadfoot, die mit 15 von ihrem Freund zur Prostitution gezwungen worden war, trat bereits letzte Woche bei einer Pressekonferenz der Prostitutionsgegner »Space International« auf. »Es zu legalisieren, wird nicht den Missbrauch bekämpfen.« Die Frauen, die Prostitution als einen »Job wie jeden anderen ansehen würden«, seien in der Minderheit. Broadfoot schlägt ein Gesetz gegen den käuflichen Sex vor, »sodass Männer für ihre sexuellen Verhaltensweisen belangt werden können«.

Auch Prominente hatten im Vorfeld gegen die Entscheidung protestiert. Die Schauspielerinnen Meryl Streep, Lena Dunham, Emma Thompson, Kate Winslet und andere hatten ein Protestschreiben des der Koalition gegen Frauenhandel (CATW) an Amnesty International unterschrieben. Die Entkriminalisierung hätte zur Folge, dass auch Zuhälter, Bordellbesitzer und Freier legal handeln würden, argumentieren sie.

Amnesty ist allerdings nicht die erste Menschenrechtsorganisation, die sich gegen die Kriminalisierung von Prostitution ausspricht. Terre des Femmes etwa wünscht sich zwar eine Welt ohne Prostitution. Aber: »Dieses Ziel ist mit der Bekämpfung von Armut, Diskriminierung und Gewalt, nicht aber mit der Kriminalisierung von Prostituierten zu erreichen.« Dutzende nationale und internationale Hilfsorganisationen, darunter Human Rights Watch, Open Society Foundations, The World Bank und UNAIDS unterstützen den Vorstoß Amnestys. In einer gemeinsamen Petition heißt es unter anderem, dass die Entkriminalisierung von Sexarbeit einen sehr großen Einfluss auf die weltweite HIV-Ansteckungsrate hätte: »Es könnten 33 bis 46 Prozent der Neuansteckungen im kommenden Jahrzehnt abgewendet werden.«