nd-aktuell.de / 14.08.2015 / Kultur / Seite 16

Stabilität aus der Vielfalt

Die wirtschaftliche Entwicklung in der Region Chemnitz-Zwickau

Werner Abel

Dieses Jahr ist ein Jubiläenjahr. Vordergründig wird die Wiedervereinigung in den Blick genommen. Zugleich werden Erinnerungen an 1965 wach, als Erich Honecker gegen die von Walter Ulbricht eingeleitete Reformpolitik intrigierte. Ebenso ist ein Blick zurück auf das Ende des Zweiten Weltkrieges angebracht. Für die große Wissenschaft ist die notwendige Distanz dem Anschein nach noch nicht gewonnen. Zu vertraut und festgefahren sind die alten ideologischen Muster. Anders offenbar bei Lokalhistorikern, wie die Publikation des Heimatvereines Niederfrohna bezeugt.

In der Einleitung hebt Herausgeber Andreas Eichler hervor, dass für große Teile der Industrieregion Chemnitz-Zwickau der Zweite Weltkrieg bereits mit der Ankunft der 3. US-Armee am 14. April 1945 zu Ende ging, aber es eine zivile Produktion zu diesem Zeitpunkt praktisch nicht mehr gab. Auch in Chemnitz hatten die Nazis die Umstellung aller Betriebe auf Rüstungsproduktion durchgesetzt. Mit jenem 14. April aber änderten sich die Prioritäten. Das Überleben der Menschen wurde wieder zum Ziel des Wirtschaftens. Zerbombte Städte, demontierte Fabriken, Materialmangel, Hunger und Kälte begleiteten den Neustart. Dennoch hegten die Menschen große Hoffnungen.

Die Autoren dieses Bandes untersuchen die Schicksale einzelner Unternehmen der Region von 1945 über 1990 bis heute. Heiner Unger berichtet von der Patentpapierfabrik Penig, Hermann Friedrich vom DKK Scharfenstein, der die DDR-Bevölkerung u. a. mit Kühlschränken belieferte, Dr. Manfred Beier und Irmgard Eberth erzählen vom VEB Feinwäsche »Bruno Freitag« Limbach-Oberfrohna und Helmut Wünsche vom Stern-Radio Rochlitz - um nur einige Beiträge zu benennen. Der Band vereint Vertreter von Kombinatsbetrieben und ehemalige mittelständische Familienunternehmer. Nur etwa 20 Prozent der vorgestellten Betriebe existieren noch, teils in neuem Besitz.

Von der einstigen Vielfalt mittelständischer Unternehmen, die bis 1932 die Stärke der Industrieregion Chemnitz-Zwickau und deren Innovationsfähigkeit bildete, ist heute nicht mehr viel erhalten. Eichler verweist auf Wahlversprechen der NSDAP gegenüber dem Mittelstand, die nicht eingehalten und durch Großmacht- und Großwirtschaftsraum-Politik ersetzt wurden. Ebenso verweist er auf gesetzeswidrige Enteignungen von mittelständischen Betrieben durch KPD/SED nach 1945. Das Jahr 1972 brachte nochmals eine Enteignungswelle mit katastrophalen Folgen. Doch die wirtschaftspolitischen Bedingungen erlaubten es auch 1990 kaum einem Vertreter des traditionellen Mittelstandes, sein Unternehmen erfolgreich neu zu gründen. Werner Görmar berichtet, dass die Enteignung seines Unternehmens 1972 nur 14 Tage dauerte; die Treuhand habe vier Jahre gebraucht, um den Betrieb zu reprivatisieren.

Eichler konstatiert, dass die Kombinate der DDR vielfach überzentralisiert waren. Zentralisierung hat indes noch nie zur Erhöhung der Produktivität geführt. Es ging dabei wohl um eine bessere Kontrolle. Als eine Stärke für die sächsische Wirtschaft könnte sich, so Eichler, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten das Erstarken der Familienunternehmen erweisen. Voraussetzung wäre allerdings steuerliche Gleichberechtigung aller Eigentumsformen. Die herausgehobene Förderung von Großunternehmen ist nicht mehr zu rechtfertigen. Mittelständische Familienunternehmen haben dagegen ihre Heimat in der Region, bilden in der Regel aus, befördern die regionale Kultur und begründen Innovationen. Stabilität aus Vielfalt.

Andreas Eichler (Hg.): Not macht erfinderisch. Zur Geschichte der Industrie in der Region Chemnitz-Zwickau. 1945 - 1990 - 2015. Mironde-Verlag, Niederfrohna 2015. 184 S., br., 10 €.