nd-aktuell.de / 15.08.2015 / Kultur / Seite 26

Angeborene Entgiftung

Indigenes Volk in den Anden genetisch an Arsen angepasst. Von Frank Ufen

Frank Ufen

In Bangladesch hat man in den letzten Jahrzehnten Hunderttausende von Brunnen gebohrt. Erst später zeigte sich, dass mehr als ein Drittel dieser Brunnen Wasser führt, das stark mit Arsen belastet ist. Dieses verseuchte Wasser dient als Trinkwasser, und es wird zur Bewässerung der Reisfelder verwendet. Mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung Bangladeschs, denn die ständige Aufnahme von Arsen führt zu schweren Leber- und Nierenschäden, Diabetes, Herzkranzgefäß-Erkrankungen und Krebs, und die Kindersterblichkeit erhöht sich extrem.

Auch in etlichen Regionen Indiens, Chinas, Vietnams, Nepals, Mexikos, Chiles oder der Mongolei sind Grundwasser und Erdboden mit Arsen in hohen Konzentrationen belastet. Das hat für die Menschen dort schwerwiegende Folgen, denn gegen chronische Arsenvergiftungen gibt es nach wie vor kein wirksames Mittel.

Und doch: In den Anden Argentiniens gibt es indigene Völker, die seit Tausenden von Jahren arsenverseuchtes Wasser zu sich nehmen und das offenbar ohne Weiteres verkraften. Warum das so ist, ist noch nicht völlig geklärt. Aber kürzlich fand ein Team um die schwedische Toxikologin Karin Broberg vom Karolinska Institut bei Menschen aus dieser Gruppe eine Mutation, die sie gegen Arsen schützt. Das berichten die Forscher in der Online-Ausgabe des Fachblatts »Molecular Biology and Evolution« (doi: 10.1093/molbev/msv046).

Im Zentrum der Untersuchung, die Karin Broberg gemeinsam mit ihren Uppsalaer Kollegen Carina Schiebusch und Mattias Jakobsson durchgeführt hat, steht das Andendorf San Antonio de los Cobres. Durch dieses 4000 Meter über dem Meeresspiegel liegende Dorf fließt ein Fluss, dessen Arsengehalt den von der WHO festgesetzten Grenzwert bis zu 80 Mal übersteigt. Die Dorfbewohner sind die direkten Nachkommen des indigenen Volkes der Atacumeño, das sich seit Generationen aus diesem Fluss mit Trinkwasser versorgt.

Auch in anderen Gegenden in den Anden ist das Wasser mit dieser giftigen Substanz, die aus dem vulkanischen Grundgestein stammt, befrachtet. Auch dort haben die Indios von Anfang an dieses vergiftete Wasser getrunken. Im nördlichen Chile hat man 7000 Jahre alte Mumien mit Arsenrückständen in den Haaren und inneren Organen gefunden.

»Wir wissen«, sagt Broberg, »dass viele Bakterien und Pflanzen mit Genen ausgerüstet sind, die sie gegen Arsen, eine hochgiftige Substanz, weitgehend resistent machen.« Außerdem ist schon seit Langem bekannt, dass die Gene, die für den Abbau von Giftstoffen im Körper zuständig sind, oft in einer ganzen Reihe von Varianten vorkommen. Und schließlich hat sich vor einiger Zeit herausgestellt, dass das Gen AS3MT eine Schlüsselrolle bei der Verstoffwechslung von Arsen spielt. Dieses Gen liefert die Bauanleitung für ein Enzym, das anorganisches Arsen mit bestimmten Methylgruppen verkoppelt. Dadurch wird es in Formen verwandelt, die für den menschlichen Organismus weniger schädlich sind.

Wie die Untersuchung von Broberg und ihren Kollegen zeigt, trägt mehr als ein Drittel der Einwohner des Dorfes San Antonio de los Cobres abweichende Varianten des Gens AS3MT in sich.

»Wir haben festgestellt«, sagt Karin Broberg, »dass Bevölkerungsgruppen in der Bergwelt Argentiniens Arsen ungewöhnlich effizient entgiften. Das Gift verlässt den Körper schneller und in einem weniger giftigen Zustand.« Woraus im Übrigen folgt, dass bei der Festsetzung von Arsen-Grenzwerten der Umstand unbedingt berücksichtigt werden sollte, dass die Wirkung dieses Giftes von Bevölkerungsgruppe zu Bevölkerungsgruppe verschieden ist. Broberg will jetzt erforschen, ob Menschen imstande sind, sich auch an andere toxische Substanzen genetisch anzupassen.