Lebensnahes Lernen

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 3 Min.

Die immer noch vorherrschende Meinung, dass Kinder in altershomogenen Gruppen am besten lernen, ist nicht nur in Deutschland anzutreffen. Auch in Großbritannien favorisieren besonders Teile der Mittelschicht ein Lernen, das die eigene Soziokultur tradiert. Geht es um Bildung und damit um die Zukunft der Kinder, treten Vorbehalte gegen eine soziale oder interkulturelle Mischung zu Tage. Das ist paradox, denn die Lebenswelten sind zumeist andere. Die Kinder kommen mit anderen Kindern, auch mit denen, die aus anderen Milieus stammen, in Berührung und bewegen sich wie selbstverständlich durch einen multikulturellen Raum. Dies gilt zumindest für die Städte. Dass gerade hier das Bedürfnis nach Abgrenzung groß ist, wird häufig mit dem Übermaß an Heterogenität und Verlust eigener Identität begründet. Eine Studie des zur Integration forschenden Instituts Demos aus London, deren Ergebnisse auf integrationhub.net veröffentlicht wurden, zeigt, dass in London 49 Prozent aller britischen, weißen Schüler in Schulen gehen, in denen sie in der Überzahl sind - und das bei einem Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung der Stadt von lediglich 26 Prozent.

Der Leiter des Instituts, Trevor Phillips, hält dies für falsch. Zum einen gäben Schulen mit einer ethnischen Mischung weißen Kindern die Möglichkeit, sich auf eine heterogene Gesellschaft vorzubereiten. Zum anderen profitierten sie von den Einwanderkindern der zweiten Generation. Denn anders als deren Eltern seien diese Kinder überdurchschnittlich motiviert und gebildet. Diese Generation erreiche das Niveau der weißen Mittelschicht oder überträfe es.

Im Netz laufen sowohl auf theguardian.com als auch auf spiegel.de Kommentare, die einer selbsterfüllenden Prophezeiung gleichen. Mit der Aussage, dass es ihren Kindern in der von ihnen gewählten homogenen Umgebung gut ginge, bestätigen viele Kommentatoren genau das von ihnen erwünschte Ergebnis. Kinder richten sich nach ihren Eltern und eben auch nach deren Einstellungen.

gruenewiese, ein in London lebendes Elternteil, hält weder Intelligenz noch eine bestimmte ethnische Gruppe für den Lernerfolg verantwortlich und verweist auf die Studien »The Learning Habit« und »Understanding the success of London’s schools« (bristol.ac.uk). »Das sind alles klassische deutsche Vorbehalte und Klischees«, schreibt es. »Meine Kinder sind an einer staatlichen Londoner Schule, in der die meisten Kinder zwei-, viele sogar dreisprachig sind. Es kommen jedes Jahr Kinder dazu, die zunächst kein Wort Englisch können. Die Leistungen in allen Fächern, auch Englisch, sind trotzdem weit überdurchschnittlich (gemessen am nationalen Durchschnitt!). In der besonders leistungsstarken Klasse meiner Kinder gibt es ein indisch-stämmiges, circa 10 muslimische Kinder und 6 afrikanischstämmige Kinder. Es kommt auf die Unterrichtsqualität an, die Stimmung an der Schule, das Interesse und nicht den Bildungshintergrund der Eltern.« Lena Tietgen

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