»Ohne Frauen ist keine Stadt zu machen«

Zum 150. Geburtstag wurde Jenas Dichterin Frida Bettingen mit einer Gedenktafel geehrt - es soll ein Anfang sein

  • Doris Weilandt, Jena
  • Lesedauer: 3 Min.
Lediglich 18 Straßen in der thüringischen Großstadt Jena sind Frauen gewidmet. Das Jenaer Frauenzentrum Towanda will das ändern.

»Ohne Frauen ist keine Stadt zu machen« - unter dem abgewandelten Motto des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) (»Ohne Frauen ist kein Staat zu machen«) fordert das Jenaer Frauenzentrum Towanda, die Präsenz von weiblichen Persönlichkeiten im Straßenbild Jenas deutlich zu erweitern. Für die Jenaer Dichterin Frida Bettingen (1865-1924) gibt es seit kurzem eine Gedenktafel.

Die Zeilen »Im Saal die bunten Lichter lärmen, die feiernden Gedanken schwärmen« schrieb die expressionistische Künstlerin während ihrer Jenaer Jahre in dem Gedicht »Allein«. Hoch über der Stadt liegt das Haus, aus dessen Fenstern sich ein Blick über den gesamten Talkessel bietet. In der herrschaftlichen Villa aus der Gründerzeit im Forstweg 22 lebte Bettingen sechs Jahre lang in direkter Nachbarschaft des Literaturnobelpreisträgers und Neuidealisten Rudolf Eucken.

Anlässlich ihres 150. Geburtstages wurde hier, an ihrem Schaffensort, nun eine Gedenktafel angebracht, die die Vergessene in das kulturelle Gedächtnis der Stadt zurückholen soll. Im Forstweg entstanden viele Gedichte der Frida Bettingen, die von der Edition »Poesie schmeckt gut« neu verlegt worden sind. Der Tod vieler Familienmitglieder, darunter ein Sohn, der im Ersten Weltkrieg fiel, hinterließ starke Spuren im Werk der Künstlerin. Viele Gedichte spiegeln den tiefen Schmerz, den sie fühlte: »Kriegsbild«, »Mein Sohn und ich«, »Meine Seele leidet Gewalt«. In den letzten Lebensjahren litt Bettingen an Depressionen, die ihren Gemütszustand zunehmend beeinflussten.

Beatrice Osdrowski kämpft mit Frauen vom Jenaer Frauenzentrum Towanda für das Sichtbarmachen historischer Frauenpersönlichkeiten in den Straßen der Stadt. Bei der Neubenennung sollen sie Vorrang vor Männern haben, denn bisher trägt der Großteil der Straßen und Plätze in Jena Namen von Männern - von Wissenschaftlern, Politikern, Künstlern und Erfindern. »Lediglich 18 Straßen sind Frauenpersönlichkeiten gewidmet«, konstatiert Osdrowski, »Frauen kommen im Gedächtnis der Stadt kaum vor.«

Vor zwei Jahren wurde ein kleiner Band mit den Geschichten von Schriftstellerinnen, Frauenrechtlerinnen, Malerinnen und Wissenschaftlerinnen erarbeitet, der als Vorlage für Widmungen in Jena dienen soll. Auch die Geschichte von Rahel Sanzara (Johanna Bleschke) ist dort zu finden, einer Schriftstellerin, die mit dem Buch »Das verlorene Kind« Mitte der 1920er Jahre eine von Kritikern wie Literaten gefeierte Sensation landete. Hanna Jursch wiederum war die erste Theologie-Professorin in Deutschland: 1956 - 22 Jahre nach ihrer Habilitation - wurde sie auf den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität berufen. Auch Johanna Hofmann-Stirnemann, ab 1929 Direktorin des Stadtmuseums, stammt aus Jena.

Oberbürgermeister Albrecht Schröter und der Kulturausschuss der Stadt stehen dem Projekt des Frauenzentrums aufgeschlossen gegenüber. Da in Jena viel gebaut wird, entstehen immer wieder neue Straßen. Im kommenden Jahr soll eine solche Neubaustraße nach der Malerin Helene Czapski-Holzman (1891-1986) benannt werden, deren Frühwerk sich zu einem großen Teil im Besitz der Jenaer Kunstsammlung befindet.

Deutlich unterrepräsentiert sind Frauen auch bei der seit über 150 Jahren bestehenden Tradition der Gedenktafeln an Häusern. Umso mehr freut man sich im Frauenzentrum, dass die Tafel zu Erinnerung an die Dichterin Frida Bettingen jetzt einen würdigen Platz gefunden hat. Sie hängt neben der für Ferdinand Hodler, der während seiner Studien für das berühmte Bild »Auszug der deutschen Studenten in den Freiheitskrieg 1813« als Gast im Forstweg wohnte.

Während der kleinen Feierstunde zum 150. Geburtstag der Dichterin erfüllten ihre Gedichte - expressiv, voller Sehnsucht und Leidenschaft - den von alten Bäumen bestandenen Garten. Andächtig lauschten Literaturinteressierte und Nachbarn. Die Dichterin ist nicht vergessen und - wenn man so will - an den Ort ihrer schöpferischen Unruhe zurückgekehrt.

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