Wasser unter immer mehr Kielen

Wassertourismus ist von einem schönen Nebenher zum Wirtschaftsschwerpunkt geworden

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenige Wirtschaftszweige in Brandenburg sind so rasch gewachsen wie der Tourismus. Weil hier die Löhne besonders niedrig sind, verfestigt sich so auch der Rückstand zu westlichen Bundesländern.

Vor 25 Jahren, als Brandenburg eine industrialisierte Region war, hätte man nur mit dem Kopf geschüttelt: Dass sich das Land eines Tages als Tourismusregion würde durchschlagen müssen, hätte man damals kaum für möglich gehalten. Inzwischen hat das mit 3000 Seen gewässerreichste Bundesland keine andere Wahl. Nach der Ernährungswirtschaft ist der Tourismus mit 48 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Brandenburgs zweitstärkster Wirtschaftszweig, zählt die Branche landesweit rund 10 000 Unternehmen.

Auch wenn derzeit die Wasserstände - sommerbedingt - bewerkenswerte Tiefstwerte aufweisen: im Wassertourismus in Berlin-Brandenburg geht es flächendeckend aufwärts. Im Landeswesten gibt es die meisten Häfen und Charteranbieter (Vermieter von Flößen, Yachten, Haus- und Segelbooten). Im Südosten hingegen ist das Angebot von Kanus am größten.

Einer Studie der IHK von Brandenburg und Berlin zufolge, deren Ergebnisse Mitte des Jahres vorgelegt wurden, leistet der Wassertourismus einen wesentlichen Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Region. Seine Ausmaße würden die Bezeichnung »größtes Wassersportrevier Europas« und die erforderlichen öffentlichen Ausgaben, die Unterhaltung der Wasserstraßen und die notwendigen Neuinvestitionen rechtfertigen. Die Branche erwirtschaftet einen Jahresumsatz von annähernd 200 Millionen Euro.

Gezählt worden seien in der Region knapp 600 Anbieter, darunter 305 Sportboothäfen, 65 Fahrgastschiffbetreiber, 83 Verleiher von Charterbooten und 128 Kanu-Anbieter. Durchschnittlich beschäftigen die Betriebe 5,2 bis 7,7 Mitarbeiter. Auf Fahrgast- und Ausflugsschiffen sind laut Hochrechnung pro Jahr fast drei Millionen Passagiere unterwegs, davon etwa 2,2 Millionen in Berlin und 800 000 in Brandenburg. Hinzu kämen rund 100 000 Charterboottouristen und 350 000 Mietkanuten.

Einen Dämpfer erhielt die Entwicklung allerdings durch die vor einiger Zeit vorgenommene Abstufung der meisten ostdeutschen Fließgewässer durch das Bundesverkehrsministerium. Die Folge: Geplante Investitionen in Schleusenanlagen fallen weg. Die Autoren der Studie kritisieren, dass das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium die Wasserstraßen allein anhand der Gütertonnage klassifiziere und dabei die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus ignoriere. Wenn für Gewässer ohne Güterschifffahrt künftig keine Bundesmittel mehr bereitgestellt würden, bestehe die Gefahr, dass baufällige Schleusen geschlossen werden. Das würde dem Wassertourismus einen harten Schlag versetzen.

Laut Studie beklagen viele Betriebe in der Branche, dass sie nicht ausreichend Personal finden. Neben den »branchenspezifischen Arbeitsbedingungen« - also der Arbeit an Sonn- und Feiertagen ist es auch der geringe Lohn, der Menschen von der Bewerbung abhält. In den vergangenen 25 Jahren sind Hunderttausende hoch bezahlte Industriearbeitsplätze weggefallen. Als Kellner und Zimmermädchen kann man arbeiten, muss dann aber auch mit dem geringen Einkommen zufrieden sein.

Nach der Preußen-Motte »Die besseren Bataillone helfen sich selbst«, bemühen sich inzwischen Kommunen auf eigene Faust, stillgelegte Schleusen zu reaktivieren. Oranienburg plant dies beispielsweise mit der Friedenthaler Schleuse. Durch die Wiedererrichtung der 1959 zugeschütteten Schleuse ließe sich die Sackgassensituation auf der Oranienburger Havel auflösen und die Fahrt in die Ruppiner Gewässer um zwei Stunden verkürzen. Um Oranienburg optimal für den Wassertourismus erschließen zu können, müssten daneben auch die Sachsenhausener und die Malzer Schleuse wider in Betrieb genommen werden. All diese Wehre gehören dem Bund.

Der wachsende Wassertourismus gerade in und um Potsdam hat auch Schattenseiten. Denn die Zahl der Sportbootunfälle steigt - vor allem, weil oft Alkohol im Spiel ist. So stieg 2014 die Zahl der Bootsunfälle allein auf den Havelgewässern zwischen Potsdam und Werder (Havel) sowie im Sacrow-Paretzer und im Teltowkanal auf 41, wie die Wasserschutzpolizei am Donnerstag mitteilte. 2013 hatte es dort 35 Unfälle gegeben.

Fast die Hälfte aller Schifffahrtsunfälle im Einzugsbereich der Wasserschutzpolizei, die unter anderem für die gesamte Havelregion Westbrandenburgs bis hinauf nach Rathenow zuständig ist, fand damit auf Potsdamer Gewässern statt. 83 Unfälle wurden insgesamt registriert - auch dies ist ein Anstieg. 2013 hatte es 73 Unfälle gegeben, im Jahr davor waren es 63.

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