NSU-Recherchen sollen besser koordiniert werden

Landtagsabgeordnete würden erneuten Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Neonazi-Terrornetzwerk begrüßen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Mord verjährt nicht, also untersucht man gründlich, so lange es sein muss. Abgeordnete wollen nun die NSU-Recherchen in Bund und Ländern koordinierter betreiben.

Wegen mutmaßlich uneidlicher Falschaussagen im Prozess gegen Mitglieder und Helfer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) hat die Staatsanwaltschaft München Vorermittlungen gegen Zeugen eingeleitet. Die Vorwürfe, so die »Thüringer Allgemeine«, richten sich gegen fünf mutmaßliche Unterstützer aus der rechtsextremen Szene.

Die geringe Anzahl sowie das Nicht-Verfolgen auch von Behördenvertretern lässt staunen. Zudem ist klar, dass die Staatsanwaltschaft erst zu einer abschließenden Bewertung kommen kann, wenn der Prozess beendet ist. So viel Zeit hat die Aufklärung der rechtsextremistischen Verbrechen unter dem Zeichen des NSU nicht. Es geht um zehn Morde, Bombenanschläge und Überfälle.

Seit dem Auffliegen der Terrorzelle im November 2011 in Eisenach sind zu viele Aufklärungschancen vergeben oder durch Behörden blockiert worden. An verschiedenen Darstellungen in der Anklage sind Zweifel angebracht. Im Umfeld des Thüringer Nazitrios Beate Zschäpe - die in München angeklagt ist - sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhard - beide sollen sich selbst gerichtet haben - bleibt allzu viel im Dunkel.

Der erste Untersuchungsausschuss des Bundestages beendete seine Arbeit in der letzten Legislaturperiode. Eine Neuauflage jetzt immer wahrscheinlicher. Der CDU-Innenexperte Clemens Binninger, der sich im ersten NSU-Untersuchungsgremium als sachkundiger und umsichtiger Aufklärer einen Namen gemacht hat, wirbt seit langem dafür. Petra Pau aus der Linksfraktion, die mit dem Untersuchungsgegenstand ebenso vertraut ist, sieht gleichfalls die Notwendigkeit solcher parlamentarischer Untersuchungen. Eva Högl von der SPD stimmt so wie die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic einem neuen Berliner Anlauf zu. So wichtig ein Bundestagsausschuss ist, er allein wäre überfordert. So wie die Länder Ausschüsse überfordert sind.

Angesichts der Vielzahl ungeklärter Fragen hat der Ausschusschef in Baden-Württemberg, Wolfgang Drexler (SPD), ein dringliches Koordinierungsgespräch angeregt. Es gebe viele Ansätze auf Bundesebene, bei denen »aus unserer Sicht weitere Aufklärung angezeigt scheint«. Man stoße aber auf Granit, beispielsweise wenn es um den Bericht des Sonderermittlers zum V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) namens »Corelli« geht.

Mit seinem Vorschlag rennt Drexler zumindest bei den parlamentarischen Ermittlern der Linkspartei offene Türen ein, ergab eine »nd«-Umfrage. Sowohl die Einrichtung eines Ausschusses im Bund als auch ein Koordinierungsgespräch zwischen den Landesausschüssen und den Bundestagsvertretern hält Katharina König für sinnvoll. »In Thüringen können wir Sachverhalte beispielsweise zum Auffliegen des Trios oder zum Unterstützer-Netzwerk nur schwer bearbeiten, da wir aufgrund der Zuständigkeiten des Generalbundesanwaltes, des Bundeskriminalamtes und der Verweigerungshaltung insbesondere des Bundesamtes für Verfassungsschutz an Grenzen stoßen.«

Ähnlich kompliziert sei es, wenn man den Heilbronner Mord an der aus Thüringen stammenden Polizistin Michelle Kiesewetter aufruft, sagt die Obfrau im Thüringen Untersuchungsausschuss. Es gebe Hinweise, dass sich der BfV-V-Mann Michael See (alias »Tarif«) und Sebastian Seemann, der in Nordrhein-Westfalen als V-Mann diente, bereits in den 90er Jahren im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes herumgetrieben haben. Wichtig seien Fakten zu Verbindungen zwischen hessischen und thüringischen Nazis aus dem »Blood&Honour«-Netzwerk, die sich regelmäßig trafen - auch am Tatort Kassel.

Eine Koordinierung der Untersuchungsausschüsse sei selbstverständlich sinnvoll, sagte der hessischen Linksfraktions-Obmann Hermann Schaus. »Es wäre gut, wenn der neue Bundestagsuntersuchungsausschuss auch diese Aufgabe übernehmen könnte.« Zustimmung kommt aus Sachsen. Kerstin Köditz hält die Einrichtung eines neuen Untersuchungsausschuss im Bundestag für »überfällig«. Die Linkspartei-Innenexpertin begrüßt eine stärkere Koordinierung, »zumal es gleich mehrere Gremien gibt, die neu in die Aufklärungsarbeit zum NSU-Komplex eingestiegen sind«. Der bisherige Verlauf des Prozesses in München bestätige zudem die Befürchtung, dass dort wichtige Komplexe ausgeblendet werden. Köditz meinte: »Je tiefer wir in die Materie eingesteigen, desto mehr Ungereimtheiten und Skandale kommen ans Tageslicht.«

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