Morddrohungen und zerstörte Scheiben

Einrichtungen von Politikern, die sich für Flüchtlinge einsetzen, geraten zunehmend ins Fadenkreuz der Rechten

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Neonazis wollen Politiker einschüchtern: Sie verüben Anschläge und drohen mit körperlicher Gewalt.

Die Täter kamen in der Nacht. Durch einen Wurf oder Schlag mit einem Gegenstand zerstörten sie am 2. August die Scheiben des Büros im sachsen-anhaltischen Merseburg, in dem unter anderem der grüne Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel arbeitet. Einrichtungen des 34-Jährigen waren zuletzt immer wieder Ziele von Angriffen. Sie laufen nach einem ähnlichen Muster ab. Zumeist sind es Steinwürfe oder Farbattacken. Die Angreifer schreckten auch nicht davor zurück, andere Menschen zu verletzen. »Hielten sich Mitarbeiter in den Räumen auf, wurde zusätzlich Reizgas versprüht«, erklärte Striegel. Die Attacken reihten sich »in eine Serie rechter Gewalttaten in der Region ein«. Der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Die Täter wollen offenbar Politiker einschüchtern, die sich gegen rechte Gruppen und Parteien engagieren. Striegel hatte sich beispielsweise für einen Ausschluss des südöstlich von Magdeburg ansässigen Fußballvereins FC Ostelbien Dornburg eingesetzt, weil dieser als Sammelbecken von Neonazis gilt.

Alle etablierten Parteien sind von Angriffen betroffen. Auffällig ist, dass die Attacken auf Einrichtungen der LINKEN im vergangenen Jahr nach Angaben der Bundestagsfraktion deutlich gestiegen sind. Mindestens 50 Mal wurden Häuserwände mit meist rechtsradikalen Parolen beschmiert, Fensterscheiben eingeworfen oder Autoreifen zerstochen. Im Jahr 2013 hatte es 28 Fälle gegeben. Und auch im laufenden Jahr gehen die Attacken weiter, wie eine »nd«-Anfrage bei der Bundestagsfraktion der LINKEN ergab. Demnach zählte man bislang 14 Angriffe, »wobei da vom Flaschenwurf über einen Reizgasangriff bis zu Nazi-Graffiti alles dabei war«, so ein Mitarbeiter der Parlamentarischen Geschäftsführerin Petra Sitte. Am häufigsten betroffen in diesem Jahr ist der Abgeordnete Jan Korte, dessen Büros vier Attacken galten; seine Fraktionskollegin Caren Lay meldete drei Vorfälle.

Die Wahlkreisbüros der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Caren Lay in Hoyerswerda und Bautzen waren auch in den Vorjahren immer wieder das Ziel von Rechten. In den vergangenen viereinhalb Jahren wurden die Büros 20 Mal angegriffen. In der Oberlausitz ist die rechte Szene sehr aktiv. Die in anderen Regionen schwächelnde NPD hat hier eine feste Wählerschaft. Angriffe hat es zuletzt vor allem in Bautzen gegeben. In Hoyerswerda fährt die Polizei nun vor Lays Büro Streife.

Solche präventiven Maßnahmen scheinen kurzfristig am wirkungsvollsten zu sein, um die Gewalt einzudämmen. Dagegen hat die Polizei oft Schwierigkeiten, die Täter zu ermitteln, weil diese in vielen Fällen wenig Spuren hinterlassen und schnell flüchten. In der Bundeshauptstadt registrierte die Polizei im vergangenen Jahr 33 Übergriffe auf Büros von Berliner Abgeordneten. Einige Monate später war noch keiner der Verantwortlichen gefasst.

Im Unterschied zu anderen Bundesländern geht die Polizei in Berlin davon aus, dass für viele Angriffe Linke verantwortlich sind. Diesen Verdacht bestätigten Politiker der Grünen, die im vergangenen Jahr wegen der Konflikte um die von Flüchtlingen besetzte Kreuzberger Gerhart-Hauptmann-Schule die Wut linker Aktivisten auf sich gezogen hatten. So hatte die »Autonome Zelle Umzug« im Hausflur des Wohnhauses der Grünen-Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, Schriftzüge gesprüht und Umzugskartons abgestellt, um an den »freiwilligen Umzug« der protestierenden Geflüchteten vom Oranienplatz und der Gerhart-Hauptmann-Schule zu erinnern. Anstatt zu differenzieren, nennen viele Medien und die Polizei solche Protestaktionen gerne in einem Atemzug mit rechtsradikalen Anschlägen auf Politikerbüros.

Sachbeschädigungen allein scheinen den Neonazis nicht mehr wirkungsvoll genug zu sein. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir las vor kurzem im sozialen Netzwerk Facebook über sich: »Der Türke verdient den Museltod. Kopf abschneiden der Drecksau.« Prominente Politiker wie die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), und ihre Parteikollegin und Generalsekretärin Yasmin Fahimi werden ebenso bedroht wie Bürgermeister und Landräte unterschiedlicher Parteien. Betroffen sind meist Politiker mit Migrationshintergrund oder solche, die sich positiv über Schutzsuchende und Einwanderer äußern.

Ein Feindbild der Rechten ist auch die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Die LINKE-Innenpolitikerin setzt sich in ihrem Berliner Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf für eine Flüchtlingsunterkunft ein. Anfang März dieses Jahres waren Rechtsradikale vor ihrer Privatwohnung aufmarschiert und riefen dabei rassistische Parolen. Pau war zu diesem Zeitpunkt zu Hause. Die Atmosphäre beschrieb sie später in einem Interview als »gespenstisch«. Ihr wurden zudem Gewalt, ja sogar Mord angedroht. Die Abgeordnete hatte daraufhin eine Debatte über mehr Schutz der Privatsphäre von Politikern angestoßen.

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