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Wir könnten die SPD zur Vernunft bringen

LINKE-Fraktionsvorsitzender Udo Wolf über Opposition, Regierungsbeteiligungen und persönliche Chemie

  • Lesedauer: 6 Min.

Herr Wolf, Ihre Leidenschaft ist das Klettern. Wie groß ist der Berg, den die Linksfraktion knapp ein Jahr vor der Abgeordnetenhauswahl 2016 vor sich hat?

Der Berg an Problemen ist hoch. Aber klettertechnisch nicht so schwierig. Der rot-schwarze Senat macht so viele Sachen so schlecht und so falsch, dass man sie mit einfachen Mitteln besser machen kann. Ob das die Wohnungspolitik ist, die Flüchtlingspolitik oder die Schulpolitik.

Die Wähler teilen Ihre Einschätzung nur bedingt. In den Umfragen ist die LINKE, um im Bergsteigerbild zu bleiben, zwar aus dem tiefsten Tal heraus, aber trotz Zuwächsen auf 15 Prozent ist sie als Opposition zusammen mit den Grünen (17 Prozent) weit von einer eigenen Mehrheit entfernt. Sie scheinen dennoch mit den letzten vier Jahren zufrieden zu sein?

Das sind doch gute Zahlen, die zeigen, dass wir viele Sachen ordentlich hingekriegt haben. Es gab eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen unserer Regierungsbeteiligung bis 2011 und wir haben inzwischen ein sehr gutes Bild davon, was wir im Falle einer eventuellen Regierungsbeteiligung auf Landesebene für Fehler vermeiden sollten.

Die wären?

Zum Beispiel war 2011 ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor unseren Wähler weit weniger wichtig als die Mietenpolitik. Damit hatten wir uns zwar befasst, aber wir haben die Differenzen mit der SPD nicht zu einem möglichen Knackpunkt der Koalition gemacht. Auch wirkten symbolischer Fehlentscheidungen wie 2003 die Kürzung des Blindengeldes nach, die die Haushaltsnotlageklage Berlins untermauern sollten, haushaltstechnisch kaum was für die Konsolidierung brachten, aber unserem Ruf in der Stadtgesellschaft schadeten.

Bleiben wir bei einem Rückblick auf die Oppositionslegislatur. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit den Grünen und den Piraten?

Am Anfang hat das ein bisschen geholpert, was mit der Erfahrung unserer zehnjährigen Regierungsbeteiligung zusammenhing und unserem etwas anderen Blick auf bestimmte Probleme. Wir wussten, in welcher Überforderungssituation die Handelnden in der Verwaltung manchmal stecken und dass das nicht immer gleich eine große Verschwörung ist. Das führt schon mal zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in der Oppositionsarbeit.

Könnten Sie das ausführen?

Nehmen Sie die Auseinandersetzung über die Verantwortung des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) beim Flughafendesaster. Wir haben vor allem sein schlechtes Krisenmanagement kritisiert. Für uns war neu, dass er so schlecht reagiert. Grüne und Piraten sahen ihre Kritik eher auf der Verursacherebene. Bei inhaltlichen Gegenvorschlägen zu Rot-Schwarz arbeiten wir besser zusammen. Die Linksfraktion hat etwa das Thema Personalentwicklung im Land Berlin auf die Agenda gesetzt. Wir haben ein Konzept entwickelt, zusammen mit den Beschäftigtenvertretungen, mit Wissenschaftlern, mit Leuten aus der Verwaltung. Das haben inzwischen auch die Grünen für sich entdeckt. Unser Druck hat dazu geführt, dass sich nun auch die Koalition des Personalproblems annimmt.

Bleiben wir bei der Opposition. Warum bietet die Linksfraktion nicht Abgeordneten der (Ex-)Piraten eine neue politische Heimat, die wohl bald nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten sein werden? Einige liebäugeln doch offen mit der Linkspartei?

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jemand sein Mandat zurückgeben sollte, wenn er mit seiner Partei und seiner Fraktion unzufrieden ist. Er wurde ja für eine bestimmte Partei gewählt. Fliegende Wechsel sind da schon problematisch. Aber natürlich können Leute sich neu orientieren, sie können dann auch gerne bei uns in die Partei eintreten und schauen, wie wir uns für 2016 neu aufstellen. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, über den ich auch mit Piraten gesprochen habe: Eine Fraktion, das sind ja nicht nur die Abgeordneten, sondern auch die Beschäftigten. Sich als Fraktion einfach so aufzulösen, ist nicht seriös, wenn man diesen gegenüber soziale Verantwortung trägt.

Apropos Personalfindung für 2016. Sie selber sitzen nicht in der Personalfindungskommission der LINKEN, die das neue Team für das Abgeordnetenhaus zusammenstellen soll. Ist das ein Hinweis darauf, dass Sie einen anderen Job anstreben als den des Fraktionsvorsitzenden?

In der Personalfindungskommission war ich 20 Jahre lang. Das reicht. Man läuft Gefahr, betriebsblind zu werden. Meinen Job als Fraktionsvorsitzenden mache ich sehr, sehr gerne. Ich kann mir vorstellen, das weiterzumachen. Aber das entscheidet eine neue Fraktion. Außerdem hängt das von vielen Fragestellungen ab: Ist man in der Regierung oder in der Opposition? Wie hat das Wahlergebnis ausgesehen und welche Arbeitsverteilung ist vorgesehen?

Einige Beobachter halten eine rot-rote Koalition nach 2016 für ausgemachte Sache. Rein rechnerisch könnte es klappen ...

... das ist anders als 2011, wir nehmen das zur Kenntnis. Rot-Grün hätte aber auch eine Mehrheit, die Große Koalition könnte ebenfalls fortgesetzt werden. Und Schwarz-Grün ist auch denkbar.

Koalitionen stehen und fallen mit persönlichen Beziehungen. Bei Schwarz-Grün müssten sich einige ordentlich verbiegen. Wie steht es denn mit der Chemie zwischen Ihnen und dem Regierenden Bürgermeister?

Persönlich verstehe ich mich mit Michael Müller gut. Das ist aber kein Hinweis darauf, dass man politisch auch zusammen an einem Strang zieht. Wir haben inhaltlich eine ganze Reihe von Differenzen.

Wo würden Sie diese verorten?

Die SPD schlägt in der Wohnungspolitik nach wie vor einen falschen Weg ein, weil sie einseitig auf Neubau setzt. Der verschärft in dieser Form die mietenpolitischen Probleme der Stadt. Das würden wir in Koalitionsverhandlungen deutlich machen. Wir sind da die Einzigen, die die Sozialdemokraten zur Vernunft bringen könnten. Also gegebenenfalls wird sich zeigen, wie viel Substanz es mit dem sympathischen Herrn Müller gibt, um eine Koalition zu bilden.

Mit Blick auf die Wahl: Kritisieren Sie den, wie Sie sagen, sympathischen Michael Müller genauso wie Innensenator Frank Henkel (CDU)?

In der Sache selbstverständlich! Darüber beschwert sich Michael Müller auch regelmäßig. Allerdings ist Frank Henkel als Senator eine politische Zumutung und die grundsätzlichen Differenzen sind viel größer. Die CDU bleibt unser Hauptgegner. Aber auch von den Grünen unterscheidet uns in Kernfragen der Politik mittlerweile häufig mehr als uns von den Berliner Sozialdemokraten trennt.

Welche Differenzen sind das?

Dass sich die Grünen mittlerweile eine neoliberale Grundhaltung angewöhnt haben und im Zweifel auch bereit sind, die soziale Frage hinter Fragen von Zeitgeist zu stellen. Für uns ist und bleibt die Frage der sozialen Gerechtigkeit das Kernthema.

Am Ende muss die LINKE selber schauen, wie sie die Koalition treibt. Was haben Sie in petto?

Die Themen kommen zu uns. Ich erwähnte den Öffentlichen Dienst. Es gibt jetzt ein Personalkonzept des Senats, das den Namen nicht verdient. Und wir sehen die Auswirkungen der Kürzungen beim Landesamt für Gesundheit und Soziales. Da werden wir gemeinsam mit Personalräten und Gewerkschaften nicht locker lassen. Auch in der Flüchtlingspolitik brauchen wir eine nachhaltige Strategie, unser Konzept vom Dezember 2014 ist besser als das des Senats aus dieser Woche. Für soziales Wohnen haben wir ebenfalls Strategien vorgelegt. In Arbeit ist überdies ein Investitionsprogramm für die marode Infrastruktur in der Stadt. Das sind alles Dinge, da bekommen die Wähler mit uns klare Alternativen zu einer Großen Koalition.

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