Dit jeilste Fleckchen der Stadt

Nach dem Lob der »New York Times«: Kommen jetzt endgültig die Hipster in den Wedding?

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit ein US-Journalist kürzlich dem Wedding seinen »ganz großen Moment« bescheinigte, schlagen die Wellen hoch: Manche befürchten, dass der Stadtteil nun tatsächlich vor der Gentrifizierung steht.

In der Sprengelstraße im Wedding wohnt ein Mann, der sich mehrmals täglich mit seinem besten Freund angeregt auf der Straße unterhält. Mal geht es um Fußball (»War dit ’n Spiel jestern, wa!?«), mal um den Flüssigkeitshaushalt (»Komm, ’n Bier für mich und ’n Wasser für dich!«), manchmal schlendern die beiden aber auch einfach über den Sparrplatz, setzen sich auf eine Bank und schweigen einträchtig, wie man nur mit dem besten Freund schweigen kann.

Hin und wieder greift der Mann dann in seine Tasche und zieht eine Packung »Party Mix Crunch«-Katzenleckerlis hervor, aus der sich sein bester Freund bedienen darf. So gestärkt, begibt sich der im Viertel beliebte Kiezkater Benny gerne auf Streifzug. In letzter Zeit kommt es vor, dass er dabei jungen Männern mit trendiger Frisur, klobiger Hornbrille und gepflegtem Vollbart begegnet, die in akzentuiertem Englisch begeistert Sätze ausstoßen wie diese: »Wow, a street cat in a working-class area! That is so authentic!«

Während sich genau dies mal wieder zuträgt, murmelt Bennys Herrchen ein trockenes »Ham sich also wieda Touristen zu uns armen Schluckern verirrt« vor sich hin. Hat er denn nicht von dem Artikel in der »New York Times« gehört, der im Wedding »the next big thing« sieht und dem Stadtteil ein Schicksal als »happening place« vom Schlage Friedrichshains oder Neuköllns prophezeit? »Weeßte wat«, hebt er abwinkend an, »dit sagen se schon seit die Mauer weg is’«.

Chaney Kwak weiß das sehr genau. Der US-amerikanische Journalist ist Autor der Reisereportage aus dem wilden Wedding. Nun, so Kwak, werde sich die so lange währende Vorhersage endlich erfüllen. Als Beweis dient ihm jenes aufregende Nachtleben, das er ausgemacht haben will. Von der »Wedding Soul Party« in der Panke über das Szenelokal »Moritz-Bar« in der Adolfstraße bis zu den Orten, an denen sich die »teutonic version of Bowling« spielen lässt: Wedding bei Nacht verkörpert für ihn Berlin, wie es sich Besucher wünschen.

In den sogenannten sozialen Netzwerken äußerten sich in den vergangenen Tagen verängstigte Einwohner, die ob des Artikels nun die mietpreistreibenden Hipster-Horden ihren gemütlichen Wedding stürmen sehen. Ein Instagram-Nutzer stellte ein Foto mit einbetonierten Schuhen online, darunter die Warnung: »Kommt lieber nicht in meine Hood!« Das mag Ironie sein; es ist aber eine, hinter der echte Befürchtungen stecken.

Mit der fixen Idee, dass an der düsteren Gentrifizierungs-Theorie vielleicht eventuell sicher garantiert doch etwas dran sein könnte, beschäftigt sich auch Heiko Werning. Der Lesebühnen-Autor wohnt seit 1991 im Wedding und berichtete schon vor fünf Jahren in seinem Buch »Mein wunderbarer Wedding«, jedes Jahr tauche »irgendwo ein Artikel über den Wedding als den kommenden Trendbezirk auf«.

Zwar nimmt in manchem Kiez die Dichte an teuren Bioläden, lieblosen Hipster-Kneipen und Ein-Stück-Apfelstrudel-für-drei-Euro-Klitschen zu. Werning aber gibt bei Facebook regelmäßig Auskunft darüber, »was man auf das Gesabbel von Künstlern, Schriftstellern und Kreativen geben sollte«. Als vor einigen Wochen in der Müllerstraße, sozusagen der pulsierenden Main Street des Wedding, ein klassischer Späti von der Größe einer Markthalle eröffnete, postete Werning ein Bild davon mit der klaren Ansage: »Nimm das, Gentrifizierung!«

Bennys Herrchen schaut dort auch dann und wann vorbei, allerdings ohne den Kiezkater. Der Verkehr flöße ihm dann doch Respekt ein. Keine Angst habe er dagegen vor den neuen Lokalitäten im Wedding, von denen die »New York Times« berichtet, in denen es Bier mit Pfefferkörnern und Koriander gibt: »Solang’ se uns nich’ vertreiben, könnense von mir aus herkommen. Is ja och dit jeilste Fleckchen der Stadt, wa!?«

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