Bis ins entzündlich Künstliche

Eine Arbeit des Architekten Frank O. Gehry, des Komponisten John Adams und der Choreografin Lucinda Childs eröffnete den »Tanz im August«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Diese Zusammenarbeit galt 1983 als revolutionär. Tanz, Musik und Architektur hatten sich zu einer gemeinsamen Performance verschwistert, mit der zudem, ein weiteres Sakrileg, ein neuer Museumsraum eröffnet wurde: ein einstiges Lagerhaus in vorerst temporärer Nutzung. Was damals in Los Angeles Furore machte, ehe jenes Museum of Contemporary Art seine endgültige Gestalt annahm, wurde in eine Bühnenversion umgeformt, dann kaum mehr gezeigt - bis zur Rekonstruktion 2015.

Mehr als 35 Jahre nach der Uraufführung erlebte »Available Light« nun seinen Einstand in Berlin: als Eröffnung des 27. Festivals »Tanz im August«. Alle drei Autoren sind mittlerweile Weltstars ihres Fachs. Der älteste, Frank O. Gehry, kanadischer Wahl-US-Amerikaner, kann auf eine bedeutende Karriere als Architekt zurückblicken, etwa für das Guggenheim-Museum in Bilbao; John Adams als jüngster im Trio gilt als einer der führenden Vertreter der Minimal Music. Lucinda Childs, ausgebildet bei Merce Cunningham, durch Yvonne Rainer 1963 zum Judson Dance Theater gebracht, das den Namen einer für jene wegweisenden Experimente offenen Kirche trug, entwarf die Choreografie, die nun, mit einer neuen Generation von Tänzern, tourt.

Fünf transparente Käfige aus Gitterstäben tragen ein Podest, über dem sich eine mehrteilige Wand wie aus gehämmertem Blech nach oben zieht. Noch vor dem ersten Band-Ton vom Synthesizer werden die Silhouetten von acht Tänzern hinter jenen Käfigen sichtbar. Als sie Farbe bekommen und langsam den weißen Grund erobern, gesellen sich auch auf dem Podest zwei Akteure hinzu. Das setzt eine raffiniert in sich gegliederte Tanzkomposition in Gang. Großenteils findet sie in Diagonalstellung der Tänzer statt, was die Raumspannung gegenüber einer Frontalstaffelung erhöht.

In Badedress-ähnlichen Kostümen, je vier in Schwarz und Rot, drei in Weiß, bewegen sich jeweils kleine Gruppen, während die anderen wartend stehen. Als Essenz des Tanzes auf der Szene ordnet sich ihm immer nur ein Tänzer auf dem Podest zu, indem er die gleiche Bewegung ausführt. Das erzeugt ein faszinierendes tänzerisches Gesamtkonzert auf zwei Raumebenen. Ausgeklügelt angereichert wird es in Richtung Raumgeometrie, wenn mehrere Gruppen zugleich einsetzen, sich Linien, Trapeze, Dreiecke - je nach Zahl der teilnehmenden Tänzer - ineinander verschieben, verschachteln, überlagern. Immer wieder ändern Tänzer dabei durch Körperwenden auch noch ihre Raumrichtung, was eine kaleidoskopartige Wirkung erzeugt.

Dass dennoch an keiner Stelle der Eindruck von unorganisiertem Chaos entsteht, geht auf Childs’ fast mathematisches Kalkül zurück. Zudem lässt sie die Tänzer nahezu durchgängig Formen des klassisch-akademischen Kanons zelebrieren, ob Beinwürfe, Pirouetten oder Sprünge, freilich in einer emotionsfreien, von jeglicher Gestaltung entbundenen Weise. Wenn dennoch Emotionen beim Zuschauer entstehen, verdanken sie sich der Klarheit des Tanzes in seinen vibrierenden Raumrastern, die sich zu teils pochenden Rhythmen von steter Wiederholung, teils schwellendem Klang im gleichbleibenden Fluss ihrer sanft sich verändernden Formationen vollziehen.

Scheinen die Farben anfangs unter sich zu agieren, mischen sie sich zunehmend, und auch die Tänzer auf dem Podest wechseln: So findet ein Transfer auch zwischen den Raumschichtungen statt. Bisweilen rötet sich das Licht und hebt die Vorgänge ins entzündlich Künstliche, bevor es wieder in Helle erstrahlt. Selbst vor symmetrischen Passagen schreckt Childs nicht zurück, bricht sie indes durch ihre kanonhaften Änderungen und die Wendung anderen Raumpunkten zu gleich auf. Wenn dadurch Tänzer einander mehrfach das Gesicht zuwenden, entsteht auf natürliche Weise Bezug zu den Partnern. Getragene Arme erinnern mitunter an Leonardos Proportionsstudie, die in Bewegung geraten ist.

Mit einem Stopp aus kurzem Synchrontanz der elf Tänzer endet nach einer Stunde der meditativ anregende Exkurs so diszipliniert, wie er begonnen hat.

Weitere Gastspiele bis 4.9., Tanz im August, Kartentelefon (030) 25 90 04 27, www.tanzimaugust.de

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