Kämpfen oder tanzen?

»Nachspielzeit« - Berlin-Drama auf Arte

  • Christina Peters
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Fußballspiel endet für den Berliner Deutschtürken Cem (Mehmet Atesci) mit einer Roten Karte. »Was soll ich denn machen, wenn man mich als ›Kanaken‹ beschimpft?« fragt er wütend. »Neunzig Minuten lang die Fresse halten«, entgegnet sein Teamkamerad. Doch davon hat Cem genug. Als am nächsten Tag beim Restaurant seines Vaters die Scheiben eingeschlagen werden, geht er zum Gegenangriff über. Aber kämpft er gegen den richtigen Feind? Der preisgekrönte Fernsehfilm »Nachspielzeit« erzählt die Geschichte einer Eskalation. Er ist an diesem Freitag um 20.15 Uhr auf Arte zu sehen.

Weit aufgerissene Augen, Schweißperlen, den Baseballschläger mit zitternden Händen zum Schlag erhoben: Schon in der ersten Szene ist klar, dass etwas Drastisches passiert ist. Der Film erzählt die Vorgeschichte, wie der unschuldig wirkende Held Cem an diesen Punkt gelangt.

Mit großem Charme und Talent spielt Atesci, Ensemble-Mitglied des Berliner Maxim Gorki Theaters, den wuschelhaarigen Altenpfleger. Cem radelt zu Punkmusik durch Berlin und überredet seinen senilen Patienten mit Singen zum Spaziergang. Verliebt grinst er seiner Kollegin Astrid (Friederike Becht) hinterher.

Doch immer deutlicher werden die Probleme um ihn herum. Hilflos muss der junge Mann mit ansehen, wie sein Vater vom kriminellen Immobilienspekulanten Calli (Aleksander Tesla) in immer neue Schulden getrieben wird und aufzugeben droht.

Auch Cems Kollegin Astrid hat Sorgen. »Lass dich nicht vertreiben, wem gehört denn die Stadt?«, ereifert sich Cem. Er beschließt, aktiv zu werden - und findet im Internet schließlich eine Bauanleitung für Brandbomben. Auf dem Fußballfeld trifft der Deutschtürke auf den arbeitslosen Ost-Berliner Roman (Frederick Lau), der mit Gewalt und rechten Parolen seine Verzweiflung abreagiert.

Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Kickern sind größer, als sie ahnen: Bindeglied ist Romans Großvater Herr Liebach (Horst Westphal), den Cem im Altenheim betreut. Der Groll des ehemaligen Sportreporters richtet sich sowohl gegen die Vergangenheit, die untergegangene DDR, durch die er die linken Ideale verraten sieht, als auch den gnadenlosen Kapitalismus der Gegenwart. Auch Romans Vater hat aufgegeben. Enttäuscht von der Wende, vergräbt er sich in seiner Wohnung im Berliner Hochhausbezirk Marzahn.

Und dann wäre da noch der Immobilienhai Calli: Durch Mietforderungen hat er nicht nur Cems Familie, sondern auch Roman in der Hand. Er zögert nicht, ihn und Cem gegeneinander auszuspielen.

Im Herzen des Films, der beim Nachwuchsfestival Max-Ophüls-Preis zu sehen war, steht die Frage: Kämpfen oder tanzen? Wie wehrt man sich gegen ein System, in dem man unterzugehen droht - und will man sich überhaupt wehren? Jeder der Charaktere findet darauf seine eigene Antwort.

Als »modernen Heimatfilm« beschreibt Regisseur Andreas Pieper sein Werk, das die Spannungen einer von Gentrifizierung und Perspektivlosigkeit bedrohten Jugend in der Großstadt aufgreift. Nur rund ein halbes Dutzend Figuren verdichtet Pieper zu einer kraftvollen Milieustudie. dpa

21.8., 20.15 Uhr, Arte

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