nd-aktuell.de / 22.08.2015 / Kommentare / Seite 22

Stolpersteine

Mehr als 60 000 Stolpersteine gibt es in Deutschland. Leo G. Fischer meint, dieser Gedenk-Dauerbrenner kann weg!

Leo Fischer

Die »Stolpersteine« sind ein Dauerbrenner. Mehr als 60 000 der Gedenkeinheiten wurden verlegt, allein 5000 davon in Berlin. Es wird gestolpert, was das Zeug hält, und in diesem Elan lässt man sich von Nörglern nicht gern bremsen.

In München wurde die Verlegung auf Wunsch der jüdischen Gemeinde und der Vorsitzenden Knobloch gestoppt, Ende Juli das Verbot vom Stadtrat erneuert. Doch scheint es so, als fachte der Widerstand die Begeisterung für die Trauerartikel noch weiter an: Eine Online-Petition gegen das Verbot hat vor kurzem die Hunderttausendermarke durchbrochen. »München soll stolpern!« heißt es da, und: »Helfen Sie uns - auch im Namen der vielen Angehörigen und Opfergruppen, die so lange auf einen positiven Bescheid des Stadtrats warten.«

So süß sprach Häme selten: Wenn den Juden die Steine nicht passen, so der Subtext, dann treiben wir halt andere Opfer auf, die sich besser damit arrangieren. Ein Petitionär formuliert zackig: »Frau Knobloch hat im Übrigen nicht die Befugnis, auch für die nicht-jüdischen Opfer der Nazi-Diktatur zu sprechen und ihnen diese Würdigung durch ihr Nein zu verweigern.« Man will sich sein Gedenken schließlich nicht von Überlebenden vermiesen lassen.

Es passt, dass ein Mitglied einer lokalen Stolperstein-Initiative 2014 auf einer antisemitischen Demonstration in Kassel »Der Tod ist ein Meister aus Israel« deklamierte und jedem getöteten Palästinenser einen Stein verpassen wollte. »Lasst die Münchner über Stolpersteine abstimmen!«, schreit die in diesen Dingen notorische »Süddeutsche«; sie hofft wohl auf einen Effekt wie in Krefeld, wo die Gemeinde das unwürdige Spektakel ebenfalls verhindern wollte, jedoch vom gedenkwütigen Volk durch einen Bürgerentscheid zum Kompromiss gezwungen wurde.

Die Steine sind beliebt, jeder will welche haben; sie sind Besitzurkunde eines kernsanierten Gewissens wie auch eines schmucken, geschichtsträchtigen Altbaus. Bei der Jugend sind sie Zielpunkte von Geocaching-Spielen, sodass die Namen der Opfer Gegenstand von paramilitärischen Aktionen werden. Dabei liegt der eigentliche Witz nicht in der auf Hochleistung getunten Trauermaschinerie (»7000 Anne Franks warten auf ihre Stolpersteine!«), sondern im Namen.

Niemand stolpert darüber, niemand stört sich daran - außer eben den Opfern. Im Gegenteil: Es sind Schmuckelemente. Fast Trophäen. Golden glänzen die Pforten, durch die man die Juden getrieben hat. Als glitzerndes Dekor eines pumperlgsunden Nationalbewusstseins gehören sie abgeschafft. So leicht sollte den Deutschen das Gedenken nicht gemacht werden.