nd-aktuell.de / 25.08.2015 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Ungesund? Werbeknüller!

Foodwatch fordert strengere Werbebeschränkungen für Kinderlebensmittel

Grit Gernhardt
Lebensmittelfirmen vermarkten trotz Selbstverpflichtung ungesundes Essen an Kinder. Verbraucherschützer wollen das stoppen und fordern daher klarere Gesetze. Zudem fordern sie mehr aktuelle Daten zur Ernährung von Kindern.

Bunt, süß und fettig - Kinderlebensmittel sorgen bei den Kleinsten für Freudensprünge, bei Eltern für Frust und lassen bei Ernährungsberatern die Alarmglocken schrillen. Denn obwohl die Zahl übergewichtiger Kinder hoch ist und Folgeerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder bestimmte Krebsarten stetig zunehmen, sieht die Nahrungsmittelindustrie keinen Grund, auf extrasüße Joghurts, zuckrige Cornflakes oder Kindersnacks zu verzichten. Schließlich ließe sich mit Süßwaren 100 Mal so viel verdienen wie mit Obst und Gemüse, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Dieter Garlichs, am Montag in Berlin.

Er untermauerte damit die ernüchternden Ergebnisse einer Studie der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch: 90 Prozent der 281 untersuchten Produkte, die speziell für Kinder vermarktet werden, erfüllen die Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO für die Bewerbung von Kinderlebensmitteln nicht. Am besten schnitten noch McDonald’s und Burger King ab, das sei erschreckend, sagte Foodwatch-Experte Oliver Huizinga. Zudem hätten sich einige große Hersteller zwar öffentlichkeitswirksam zu verantwortungsvollem Marketing verpflichtet, dies sei aber praktisch wirkungslos.

Foodwatch-Chef Thilo Bode wundert das nicht. Merkmal einer Selbstverpflichtung sei, dass die Unternehmen etwas versprächen, das ihnen nicht weh tue und die Politik dafür auf Gesetze verzichte. Die Vereinbarung, die Konzerne wie Coca-Cola, McDonald’s, Nestlé, Unilever oder Mondelēz 2007 abgeschlossen hätten, habe vier große Schwachstellen, sagte Huizinga: So seien die Nährwertgrenzen viel zu lasch, eine Cornflakessorte mit einem Zuckeranteil von 30 Prozent gelte etwa noch nicht zwingend als ungesund. Zusätzlich gebe es Schlupflöcher: So dürften ungesunde Kinderlebensmittel zwar nicht mit Comicfiguren aus Film und Fernsehen beworben werden. Erfinde der Konzern aber eine eigene Werbefigur, gelte die Einschränkung nicht. Große Player auf dem Nahrungsmarkt - wie Dr. Oetker, Bahlsen oder Haribo - hätten zudem nicht unterschrieben, kritisierte Huizinga. Die Altersgrenze von 12 Jahren sei auch zu niedrig angesetzt. Foodwatch fordert, dass alle Marketingmaßnahmen beschränkt werden, die sich an Kinder bis 16 richten.

Dafür brauche es gesetzliche Regelungen, so Huizinga. Auch Garlichs meint, dass die bisherige Strategie der Aufklärung und Information gescheitert sei. In dem »adipösen Umfeld, in dem wir leben« - mit vollen Supermarktregalen und flächendeckender Fast-Food-Versorgung - reiche das nicht aus. Zudem herrsche »keine Waffengleichheit«: Der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stehe für Aufklärungskampagnen nur ein Prozent des Werbeetats der Süßwarenindustrie zur Verfügung.

Scharfe Kritik übten Garlichs und die Foodwatch-Experten an der Untätigkeit der Politik. Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) betreibe sogar das »Geschäft der Lebensmittelindustrie auf Kosten der Kinder«, so Bode. Ein Minister, der die Selbstverpflichtung für eine »gute Sache« halte, wie Schmidt das auf der Jahrestagung des Spitzenverbandes des Lebensmittelhandels (BLL) gesagt habe, sei »fehl am Platz«.

Zudem fehlen aktuelle Daten: Die letzte Langzeitstudie des Robert-Koch-Instituts deckt den Zeitraum von 2003 bis 2006 ab. Damals waren 15 Prozent der Kinder übergewichtig, 6,3 Prozent adipös. Seit Mitte der 1990er Jahre stieg die Zahl der übergewichtigen Kinder um über 50 Prozent.

Foodwatch fordert eine strenge Regulierung des Marketings für Kinderlebensmittel auf Grundlage des Nährwertmodells der WHO. Nur Produkte, die die strengen Kriterien erfüllten, dürften direkt an Kinder beworben werden. Die Unternehmen fürchten indes um ihre Einnahmen: Der BLL bezeichnete die Foodwatch-Studie »als unseriös und effektheischend«. Die WHO-Kriterien seien »eine reine Empfehlung«. Auch sei der Zusammenhang zwischen Kinderlebensmitteln und Übergewicht nicht wissenschaftlich bewiesen.