nd-aktuell.de / 26.08.2015 / Kultur / Seite 13

Vom Reisen und Staunen

Julien Blanc-Gras

Mona Grosche

Schon als kleiner Junge kennt Julien Blanc-Gras nichts Schöneres als fremde Länder. Während andere Kinder mit einem Teddy im Arm einschlafen, bevorzugt er einen aufblasbaren Globus. Und siehe da, als Erwachsener ist es ihm tatsächlich gelungen, seinen Berufswunsch »Tourist« in die Realität umzusetzen. Anfangs muss er noch diverse Aushilfsjobs übernehmen, um seine Reisen zu finanzieren. Später jedoch kann er seine Geschichten der Presse verkaufen. So ist seinem unstillbaren Reisetrieb Tür und Tor geöffnet. - Zum Glück für uns Leser auch dem hemmungslosen Schreiben darüber.

Was Blanc-Gras’ Klasse ausmacht, ist sein immenses Talent, uns in seinen »Episoden« und »Zwischenspiele« genannten Stories einen ganz speziellen Blick auf die vielen Menschen, Situationen und Orte, die er erlebt, zu vermitteln. Ausgestattet mit viel gesunder Neugier, einer tüchtigen Portion schwarzen Humors und einer Prise Sarkasmus, reist er zu bekannten wie unbekannten Flecken der Erde. Dabei beobachtet er mit scharfem Blick Skurriles, Schönes und nachdenklich machendes, wie etwa den Alltag zwischen Kontrollposten im konfliktbeladenen Israel, den Hype um eine vermeintliche Reinkarnation von Buddha in Indien oder brasilianischen Alternativtourismus, bei denen die Favela-Bewohner ebenso Gelegenheit bekommen, Touristen zu bestaunen, wie umgekehrt. Manchmal muss man lauthals lachen, vor allem, wenn der Autor den Unbilden des Touristendaseins ausgeliefert ist, wie zum Beispiel bei einer (über-)organisierten Kreuzfahrt mit Chinesen auf dem Jangtse oder einem innereuropäischen Flug mit erheblichen Umwegen …

Seine besonderen Stärken erlebt das Buch allerdings gerade dann, wenn Blanc-Gras uns trotz Ironie und Galgenhumor spüren lässt, wie sehr ihn das Schicksal der Menschen berührt, denen er begegnet. So etwa auf Madagaskar, wo ein sturer französischer Wissenschaftler die potenzielle Rettung Dutzender auf dem Meer verunglückter Fischer vereitelt, weil sie seinen Projektablauf stören könnte.

Wer hier klassische Reisebeschreibungen erwartet, wird nicht fündig. Wer aber bereit ist für (selbst)kritische Betrachtungen über Tourismus, kleine Sequenzen über den Alltag fremder Kulturen und seltsame amouröse Begegnungen in der Nacht, dem wird das Buch sehr gefallen.

Julien Blanc-Gras: Annika Loose: Tourist. Wie ich mit Buddhas Mutter zu Abend aß, in Mosambik Frösche fing und Radarfallen im Busch entkam. Aus dem Französischen von Annika Loose. Mare Verlag. 240 S., geb., 20 €.