Geheimsache Antibiotika

Bund will Daten zu Medikamentengaben in der Tiermast unter Verschluss halten

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Bundesagrarministerium will offenbar verhindern, dass die Öffentlichkeit erfährt, wie oft Antibiotika in der Tiermast eingesetzt werden. Mehrere Länder wehren sich gegen den Maulkorb.

Ihren unheilvollen Ruf als Todesurteil hatten die Lungenentzündung und andere Infektionskrankheiten verloren, als vor Jahrzehnten die Antibiotika als Lebensretter erschienen. Doch jene Wunderwaffen werden stumpfer. Die Widerstandsfähigkeit der Erreger - die Resistenz - wächst, je mehr Antibiotika der Mensch zu sich nimmt. Nicht zuletzt beim Essen von Tieren, die diese Medikamente von ihren Mästern verabreicht bekommen haben. Erklärtes staatliches Bestreben ist es, ihren Einsatz zu minimieren. Ob sich die Tierhalter an entsprechende Vorgaben halten, soll die Öffentlichkeit jedoch nicht erfahren.

Im Juli hatte das Bundesagrarministerium die einzelnen Länder angewiesen, von ihnen ermittelte Daten zum Antibiotikaeinsatz in der Tiermast - obwohl diese anonymisiert sind - geheim zu halten. Medien dürften keine Informationen bekommen und nicht einmal die Landtagsabgeordneten, sofern sie denn in öffentlicher Sitzung um Auskunft bitten. Das haben jetzt Recherchen von NDR, WDR und der »Süddeutschen Zeitung« ergeben.

Im Halbjahresrhythmus müssen Nutztierhalter seit 2014 einer Landesbehörde mitteilen, wie häufig sie zum Beispiel ihren Rindern, Puten, Schweinen und Hähnchen Antibiotika eingegeben haben. Dann wird daraus ein Mittelwert errechnet. Betriebe, die ihn überschreiten, werden aufgefordert, ihre Arzneigaben zu reduzieren.

Solch ein Abbau der Medikamente gilt als parteiübergreifendes Ziel. Im Mai hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt, »dass man mit weniger Antibiotika in der Tierhaltung auskommen kann«. Und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) warnte: »Wenn Antibiotika nicht mehr wirken, droht uns ein Rückfall ins Vor-Penicillin-Zeitalter; das hätte dramatische Folgen.«

Dass Merkels und Gröhes Kabinettskollege, Agrarminister Christian Schmidt (CSU), den Ressortchefs von Flensburg bis München nun einen Maulkorb verpasst, hat vor allem in landwirtschaftlich geprägten Ländern für Verwunderung gesorgt. Und zu deutlichen Reaktionen: So befürchtet Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die Direktive aus Berlin könne den Tierhaltern letztlich schaden, erwecke sie doch den Eindruck, dass es da etwas zu verheimlichen gebe. »Absolute Transparenz« sei geboten.

Gegen die »Geheimniskrämerei« wendet sich auch Agrarminister Christian Meyer (Grüne) aus Niedersachsen. Sein Ressort- und Parteikollege Johannes Remmel in Nordrhein-Westfalen nennt den Brief aus Berlin einen »Einschüchterungsversuch«. Seitens des Bundes solle »Transparenz verhindert werden«. Und für Till Backhaus (SPD), Agrarminister in Mecklenburg-Vorpommern, ist das Vorgehen des Bundes »kontraproduktiv«. Er will sich deshalb nicht an das Schweigegebot halten.

Das Bundesministerium wiegelt unterdessen ab, verschanzt sich hinter dem Datenschutz und einem speziellen Passus aus dem Arzneimittelgesetz. Die Daten seien danach nur für den internen Gebrauch bestimmt.

Soll die Heimlichtuerei womöglich verbergen, dass die Datenerfassung mit dem Ziel einer Minimierung von Antibiotika ein Flopp ist? In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel haben von rund 11 500 meldepflichtigen Betrieben etwa 2300 keinen Antibiotikaeinsatz mitgeteilt. Nicht gemeldet aber wird gewertet wie: Kein Einsatz des Medikaments. Ob das stimmt, müsste einzeln geprüft werden, was wiederum hohen Aufwand erfordert. Ob sich so bundesweit ein »gesunder« Mittelwert feststellen lässt, der allen Tierhaltern als Limit gelten kann, ist fraglich.

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