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IAAF will keine Prothesensportler

Eine Regeländerung kommt dem Olympiaausschluss von Weitspringer Markus Rehm gleich

Der Leichtathletik-Weltverband hat seine Regeln geändert. Damit ist behinderten Athleten wie Weitspringer Markus Rehm eine Olympiateilnahme so gut wie verbaut.

Die Weltmeisterschaften der Leichtathleten sind vorbei, und der Weltverband IAAF hoffte nun wohl auf etwas weniger Publicity. Schließlich gab es in Peking mehr Dopingfälle als Weltrekorde. Doch hinter den Kulissen hat der Kongress der IAAF eine Regeländerung beschlossen, die noch für Kritik sorgen dürfte. Wie »nd« erfuhr und IAAF-Sprecher Chris Turner auf Anfrage nun auch bestätigte, wurde die Wettkampfregel 144.3 geändert. Dies hatte der Deutsche Leichtathletik-Verband zwar beantragt, doch das Ergebnis gefällt dem DLV nun überhaupt nicht. Eigentlich sollte behinderten Athleten mit Prothese wie Weitspringer Markus Rehm eine Teilhabe an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen ermöglicht werden. Dies ist zwar geschehen, doch die Hürden, welche die IAAF davor aufgestellt hat, sind de facto kaum noch zu überspringen.

Rehm hatte 2014 bei den Deutschen Meisterschaften die gesamte nichtbehinderte Konkurrenz geschlagen und sich so für die EM qualifiziert. Der DLV nominierte ihn jedoch nicht, aus Angst davor, die internationalen Verbände würden Rehm nicht zulassen. Dass ihm seine Prothese einen Vorteil verschaffen würde, wurde stets nur vermutet, jedoch nie bewiesen. Rehm verlangt seitdem eine Überprüfung und startet, neuen DLV-Regeln entsprechend, nur noch außerhalb der Wertung.
Diese Interimslösung sollte die IAAF nach dem Willen des DLV nun übernehmen, doch der Weltverband drehte zusätzlich die Beweislast um. Demnach gelten Prothesen per se als verbotene Hilfsmittel, »außer der Athlet kann alle Wahrscheinlichkeiten abwägend begründen, dass ihm das Hilfsmittel keinen Vorteil gegenüber anderen Athleten verschafft«. Ist dieser Nachweis nicht erbracht, »kann er oder sie nicht an Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen teilnehmen«, heißt es in einem Schreiben der IAAF. Kontinental- und Nationalverbänden sowie Meetingorganisatoren steht es zumindest frei, Athleten wie Rehm noch in getrennter Wertung starten zu lassen. Dass er – wie vor wenigen Monaten in Hengelo – mitten im Feld dabei ist und sogar gewinnt, scheint nun ausgeschlossen. Die neue Regel soll am 1. November 2015 in Kraft treten.

»Die Umkehr der Beweislast ist wirklich schade und nicht sehr fortschrittlich«, sagt Rehm gegenüber »nd«. »Ich habe mir das Tragen einer Prothese nicht ausgesucht, vielmehr ersetze ich damit ein Bein. Dass mir das vorgeworfen wird, ist nicht richtig. Hier wird eine Chance vertan, unseren Sport voranzubringen, denn leider wird in uns nur eine Gefahr gesehen.«

Seit 2014 wollen der DLV und der Deutsche Behindertensportverband (DBS) die Frage, ob eine Prothese Vorteile bringt, endlich beantworten. Doch eine aussagekräftige Studie muss viele Athleten einbeziehen. Soll sie auf andere Wettbewerbe übertragbar sein, wird sie sogar noch umfangreicher. So eine Forschung kostet laut Verbandsangaben mehr als 100 000 Euro. Es wurden schon Förderanträge beim Bund gestellt, doch die Bewilligung könnte Jahre dauern. Rehm ist 27. Als paralympischer Athlet verdient er nicht viel. Ob er noch bis Tokio 2020 weitermachen kann, ist fraglich. »Selbst diesen Nachweis zu erbringen, ist sehr schwer«, so Rehm. »Und selbst wenn ich einen Partner finde, der mir dabei hilft, ist nicht klar, ob die IAAF die Resultate auch akzeptiert. Ich muss mir erst mal Gedanken machen, wie es weitergehen soll.«

Auch der DLV ist nicht begeistert von der Regeländerung seines Dachverbands. Für Gerhard Janetzky, Präsidiumsbeauftragter für Inklusion und langjähriger Chef des Internationalen Stadionfestes (ISTAF) in Berlin, kommt sie einem Ausschluss von behinderten Athleten gleich: »Den belastbaren Beweis zu erbringen, ist für sie nicht zu leisten. Der Beschluss bringt uns zwar Klarheit, die Inklusion aber kein Stück voran.«

Mit seiner Bestweite von 8,29 m hätte Rehm übrigens WM-Silber gewonnen. »Ich würde gern das Argument der IAAF hören, warum es nicht möglich sein soll, neun statt acht Athleten im Finale starten zu lassen und mich separat zu werten. Direkt gegen andere starke Springer um Medaillen zu kämpfen, wäre zwar der größte Kick, aber ich wäre auch einverstanden, in getrennter Wertung mitzumachen. Es steckt ja viel mehr dahinter, als nur bei einem Wettkampf zu starten. Ich würde gern mehr Leute erreichen und die Inklusion von Behinderten voran bringen«, sagte Rehm. Diese Chance scheint ihm genommen.

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