nd-aktuell.de / 01.09.2015 / Politik / Seite 7

Keine Waffenruhe für die Rada

Schwere Krawalle zur ukrainische Verfassungsreform / Preissteigerung bei Strom und eine neue schwarze Liste

Klaus Joachim Herrmann
Ein Angriff auf das Parlament, ein zweifelhafter Sonderstatus für die Ostukraine und ein brüchiger Waffenstillstand. Sicher ist in Kiew wohl nur die schwarze Liste russischer Größen der Kultur.

Die Explosion einer »Gefechtsgranate« vor dem Gebäude der Werchowna Rada in Kiew wurde Montag zum dramatischen Höhepunkt der inner- und außerparlamentarischen Auseinandersetzung um eine Änderung der ukrainischen Verfassung. Mit Steinen, Rauchbomben und einem gellenden Pfeifkonzert hatten radikale rechte Demonstranten die Abstimmung begleitet und in letzter Minute zu verhindern versucht.

Die Linie der Krawalle gaben der extremistische Rechte Sektor mit einer Blockade der Zufahrtsstraßen und Hunderte wütende Ultranationalisten der Partei Swoboda vor dem Parlament vor. Die Polizei wurde mit Holzknüppeln attackiert und wehrte sich mit Tränengas und Pfefferspray. Abgeordnete der stramm rechts orientierten Radikalen Partei des Populisten Oleh Ljaschko griffen nach dem Muster der Umsturztage des Maidan die damals von Boxweltmeister Vitali Klitschko gern gewählte Kampfform einer Blockade der Tribüne wieder auf: Redner kamen nicht durch.

Das ukrainische Parlament billigte trotzdem in erster Lesung eine als Ausweitung der Rechte der Regionen Donezk und Lugansk bezeichnete Verfassungsreform. Danach sollen Regional- und Kommunalverwaltungen künftig für den Zeitraum von drei Jahren das Recht auf eigene Gerichte und auch die Aufstellung einer Volksmiliz haben. Dazu wurde bereits vor Jahresfrist ein Gesetz verabschiedet. Für die jüngste Novelle stimmten bei der Sondersitzung in Kiew 265 von 368 registrierten Abgeordneten. Die zweite Lesung wurde vom Fraktionschef des Poroschenko-Blockes für Dezember angekündigt. Juri Luzenko drohte aber Änderungen des Textes an, sollte Russland keine eigenen Schritte zur Erfüllung der Minsker Vereinbarungen leisten.

Bis dahin dürfte sich vielleicht die politische Konfrontation entspannen, kaum aber die Lebenslage der Bürger verbessern. Der Herbst beginnt für sie mit einer Anhebung der Tarife für Elektroenergie um 20 Prozent. Eine Staffelung nach Verbrauch soll jene Haushalte begünstigen, die unter 100 Kilowattstunden im Monat bleiben. Aus der Subventionierung von Lebensmitteln zieht sich der Staat zurück. Trost im Wodka wird ab 1. September ein Drittel teurer.

Als Errungenschaft feierte Premier Arseni Jazenjuk, dass es dank einer Umschuldungsvereinbarung mit Kreditgebern möglich geworden sei, insgesamt zwölf Millionen Ukrainer mit zusätzlichen Mitteln sozial zu unterstützen. An die russischen Gläubiger ging sein schroffer Hinweis, sie sollten sich ihr Geld doch bei Viktor Janukowitsch holen, wenn sie der Umstrukturierung ukrainischer Schulden nicht zustimmen wollten. Moskau hätte die Kredite schließlich dem gestürzten Präsidenten gewährt. Ende August hatte die ukrainische Regierung auch die Streichung von 20 Prozent der Schulden in Höhe von 18 Milliarden US-Dollar erreicht.

Russland lehnte diese Regelung kategorisch ab und dürfte das Kiewer Angebot als Provokation empfunden haben. Ebenso das von den USA angeführte Marinemanöver »Sea Breeze« (Seebrise) vor der ukrainischen Küste des Schwarzen Meeres. Mit rund 2500 Soldaten aus 11 Ländern sei dies die größte Übung seit dem Beginn der internationalen Seemanöver 1997, berichteten ukrainische Medien. In Moskau sprach Verteidigungspolitiker Franz Klinzewitsch von der Regierungspartei Geeintes Russland von einer Vorbereitung auf Kriegshandlungen.

Kaum erfreut dürfte Moskau eine weitere schwarze Liste des Nachbarn aufnehmen, wenn sich diese auch als recht bunt erwies. Darauf findet sich der internationale Star-Schauspieler und -Regisseur Nikita Michalkow ebenso wie der in der Zeit der Perestroika bekannt gewordene tatarische Popsänger Oleg Gasmanow oder der Estraden-Bass Oleg Kobson. Das Einreiseverbot für sie und insgesamt 16 Spitzenleute russischer Kultur und Massenmedien verkündete der ukrainische Sicherheitsdienst (SBU). Verhängt wurde es nach dessen Verlautbarung »im Interesse der staatlichen Sicherheit«.