Fallpauschalen in der Psychiatrie

Bündnis befürchtet weiteren Personalabbau

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Zusammenschluss aus Nichtregierungsorganisationen setzt sich für menschenwürdige Behandlung und ein besseres Entgeltsystem in der Psychiatrie ein.

Hinter der Abkürzung PEPP verbirgt sich der Begriff »Pauschalierendes Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik«. Das Bewertungs- und Abrechnungsverfahren hat seit Beginn seiner schrittweisen Einführung 2013 mehr Gegner als Befürworter gefunden. Ein Bündnis von Attac, gemeindepsychiatrischen Verbänden bis hin zu ver.di und dem Paritätischen Gesamtverband mahnt jetzt erneut Politik wie Akteure im Gesundheitswesen, die Zeit bis zur endgültigen Einführung nicht ungenutzt zu lassen. Ihre Position stellten die Beteiligten gestern in Berlin vor.

Nach aktuellem Stand soll PEPP bis Ende 2016 endgültig verbindlich sein. Besonders daran interessiert sind die Krankenkassen, die damit Transparenz über die Kosten in den psychiatrischen Abteilungen der Krankenhäuser erreichen wollen - und, so fürchten viele Skeptiker, die Ausgaben dann senken wollen.

Mit PEPP erreichen die Fallpauschalen aus der somatischen Medizin nun die Psychiatrie. Brigitte Richter von der Selbsthilfeorganisation Pandora aus Nürnberg schildert das Vorgehen in den sogenannten Optionskrankenhäusern, die das Verfahren bereits seit 2013 nutzen - auch, weil sie dafür finanziell belohnt werden. Diese Vergütung ist offenbar so verlockend, dass insbesondere ökonomisch schwache Kliniken sich entgegen fachlicher Argumente für das aufwendige System entschieden. Brigitte Richter beobachtet, dass entsprechend der Diagnosen insbesondere gut abrechenbare Therapien zu einem Paket geschnürt werden, die der Patient dann quasi abarbeiten müsse. »Elemente wie Zeit, Wertschätzung oder Geduld sind dort nicht abgebildet und somit auch nicht abrechenbar. Der Wust notwendiger Dokumentation verhindert ein heilsames Therapieklima«, so ihr Fazit.

Eine menschenwürdige Behandlung kann mit diesem Entgeltsystem auch deshalb nicht gesichert werden, weil in der Psychiatrie mit der Diagnose nur 20 Prozent des erforderlichen Behandlungsaufwandes zusammenhängen. Das sagen zumindest empirisch gesicherte Erfahrungen, auf die sich das Bündnis beruft. Besser wäre eine Einschätzung nach der Schwere des Leidens. Besonders Schwerkranke hätten das Nachsehen, so werde eine manchmal nötige 24-stündige pflegerische Begleitung mit PEPP nicht gemessen und folglich nicht abgerechnet.

Hier deutet sich eine weitere Parallele zu den Fallpauschalen an: Der Schwerpunkt verlagert sich auf die ärztliche Versorgung, in der Pflege dagegen wird gespart. Durch ökonomische Anreize werden leichtere Fälle eher stationär aufgenommen. Mit der Abschaffung der noch bis Ende 2019 gültigen Psychiatrie-Personalverordnung - die schon heute häufig unterlaufen wird - ist mit PEPP weiterer Personalabbau zu erwarten. Bereits jetzt fehlen in der Branche laut einer neuen Studie bundesweit 100 000 Arbeitskräfte.

Ein weiterer Kritikpunkt gilt der fehlenden Einbeziehung ambulanter Versorgung. Insbesondere die Institutsambulanzen der Krankenhäuser seien so in ihrer Existenz gefährdet. Zwar gibt es seit Mai dieses Jahres einen »strukturierten Dialog« des Bundesgesundheitsministers mit den Fach- und Wohlfahrtsverbänden, der sei aber, so Rolf Rosenbrock vom Paritätischen Gesamtverband, zu sehr auf den stationären Sektor bezogen. Er hofft jedoch, ebenso wie weitere Vertreter des Berliner Bündnisses, dass sie demnächst auch an den Gesprächen beteiligt werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal