Paris überlässt Langzeitarbeitslose sich selbst

Französische Arbeitsämter werden ihrer Aufgabe immer weniger gerecht

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Fast die Hälfte aller Arbeitslosen in Frankreich sind bereits über ein Jahr joblos. Sie werden so gut wie gar nicht gefördert.

Die französischen Arbeitsämter geraten zunehmend ins Feuer der öffentlichen Kritik. So wirft der französische Rechnungshof ihnen in einem Bericht vom Juli mangelhafte Effizienz und vor allem die Vernachlässigung der Langzeitarbeitslosen vor. Dabei versuchte Paris noch vor sechs Jahren, den Ämtern ein modernes und effizientes Image zu verpassen.

Ende 2008 wurden die Arbeitsämter mit den Büros für die Zahlung des Arbeitslosengeldes ASSEDIC zusammengelegt und das neue Netz Pôle emploi (Beschäftigungs-Pool) geschaffen, das insgesamt 53 000 Mitarbeiter zählt und über ein Jahresbudget von fünf Milliarden Euro verfügt. Dann brach die Krise aus. Die Zahl der Arbeitslosen kletterte von 3,9 Millionen im Januar 2009 auf 6,2 Millionen im Januar 2015. Gleichzeitig stieg der Anteil der Langzeitarbeitslosen - also derer, die schon mehr als ein Jahr ohne Beschäftigung sind - von 30,3 auf 43,3 Prozent. Je länger jemand arbeitslos ist, umso weniger kümmert man sich um ihn, stellte der Rechnungshof nun fest.

So kommen nur 283 000 Arbeitslose in den Genuss einer »intensiven Begleitung« durch die Arbeitsämter, die sich bei dieser Gruppe hohe Erfolgsaussichten erhoffen. Die große Masse dagegen wird sich selbst überlassen und nur der Form halber zu den gesetzlich vorgeschriebenen Gesprächen über ihre eigenen Anstrengungen vorgeladen.

Weil die Angestellten dabei völlig überlastet sind, laden sie die meisten Arbeitslosen gleich gruppenweise zu den Gesprächen vor - was nicht nur sinnlos, sondern auch rechtswidrig ist. Immer mehr Langzeitarbeitslose, die sich vernachlässigt fühlen, verklagen Pôle emploi vor den Verwaltungsgerichten, die ihnen immer öfter recht geben. Doch auch die einfachen Angestellten in den Ämtern brechen unter dem Druck ihrer Vorgesetzten zusammen, die von ihnen nicht erreichbare Erfolgszahlen verlangen. Immer häufiger nehmen sie sich das Leben. Allein 2013 waren es landesweit ein Dutzend.

Um von den eigenen Misserfolgen abzulenken, stellt Pôle emploi die eher seltenen Fälle heraus, in denen Arbeitslose nicht wirklich nach einem neuen Job suchen oder Arbeitslosengeld kassieren und ohne Sozialversicherung arbeiten. Andererseits häufen sich Berichte über Gesetzesverstöße durch Mitarbeiter von Pôle emploi. So wurden in Auxerre Arbeitslose an die örtliche Filiale der Handelskette Leclerc vermittelt, wo sie angeblich eine Umschulung und Aussicht auf Festanstellung erhalten sollten. Doch nur ein Bruchteil der auf sechs Wochen veranschlagten und von Pôle emploi üppig subventionieren Ausbildungszeit wurde für ihren eigentlichen Zweck verwendet, während die Kandidaten die meiste Zeit ganz normal arbeiten mussten.

Am Ende der »Ausbildungs- und Probezeit« erhielt nur ein Bruchteil von ihnen eine Anstellung. Die meisten schickte die Firma als »ungeeignet« ans Arbeitsamt zurück - das ihr prompt neue Kandidaten gab. Ähnliche Beispiele gibt es aus allen Teilen des Landes. Noch krasser sind die Fälle von Missbrauch durch private Vermittlungsagenturen, die seit 2009 zugelassen sind und denen nur zu oft die aussichtsreichsten Kandidaten überlassen werden.

Da sie für ihre Vermittlungsarbeit hohe Zuschüsse bekommen, gibt es immer wieder Berichte über gefälschte Erfolgszahlen und zu Unrecht kassierte Millionen. »Dieses System ist praktisch eine Lizenz zum Gelddrucken und lädt förmlich dazu ein, zu betrügen«, räumt ein Betriebsrat von Pôle emploi Paris ein.

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