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Abschied aus dem Paradies

Die deutschen Autobauer sind stark vom Konjunktureinbruch in China betroffen

  • Carsten Hübner
  • Lesedauer: 4 Min.
In China sind in den Boomjahren riesige Produktionskapazitäten der Autoindustrie entstanden. Sie werden künftig kaum auszulasten sein.

Noch bis vor wenigen Monaten galt China als das gelobte Land der Automobilindustrie. Seit das Reich der Mitte im Jahre 2009 die USA als größten Einzelmarkt abgelöst hatte, wurden nirgendwo so viele Neuwagen abgesetzt wie hier. Die Wachstumsraten waren atemberaubend. Allein zwischen 2010 und 2014 legte der Absatz um über 60 Prozent auf mehr als 18 Millionen Fahrzeuge zu. Von den im vergangenen Jahr weltweit knapp 74 Millionen verkauften Pkw ging damit jeder vierte an einen chinesischen Kunden.

Allen Marktbeobachtern war klar, dass sich diese rasante Entwicklung nicht endlos fortsetzen würde. Tatsächlich hatte die Zuwachsrate schon im Jahr 2014 nicht mehr im zweistelligen Bereich gelegen, sondern nur noch bei 6,9 Prozent. Dennoch zeigte sich die Vereinigung der chinesischen Autohersteller (CAAM) zu Beginn dieses Jahres optimistisch und sagte für 2015 ein Wachstum von elf Prozent voraus. Seither musste sie die Prognose jedoch mehrfach korrigieren. Aktuell erwartet die CAAM gerade noch ein Plus von drei Prozent.

Bis Ende Juli wurden in China knapp 10,7 Millionen Pkw verkauft. Damit liegt der Absatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit 5,3 Prozent im Plus. Doch in den Sommermonaten hat die Krise bereits voll durchgeschlagen. Nach jüngsten Zahlen der CAAM brachen die Verkäufe im Juli um sieben Prozent zum Vorjahresmonat ein und befanden sich damit auf dem niedrigsten Stand seit 17 Monaten. Die Autoproduktion schrumpfte sogar um zwölf Prozent.

Von den deutschen Autobauern ist davon besonders Volkswagen betroffen. So ging das China-Geschäft von VW bis Juli um 5,3 Prozent auf unter zwei Millionen Fahrzeuge zurück. Die Marke VW verlor sogar 7,7 Prozent. Selbst der ansonsten so erfolgsverwöhnte Oberklassehersteller Audi musste Federn lassen. Der Absatz dieser VW-Tochter fiel um 12,5 Prozent auf rund 42 300 Fahrzeuge. Vor diesem Hintergrund, so verlautete aus Unternehmenskreisen, werde die Produktion zunächst um 10 bis 20 Prozent zurückgefahren.

Während der Trend bei VW bereits negativ ist, konnte BMW im selben Zeitraum immerhin noch ein leichtes Plus erreichen. Von Januar bis Juli verkauften die Bayern in der Volksrepublik gut 265 000 Autos, was zwar noch für einen Zuwachs von 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sorgte, aber bereits einen Verlust an Marktanteilen bedeutete. BMW selbst sprach in seinem jüngsten Quartalsbericht deshalb sibyllinisch von »einem sich zunehmend normalisierenden Markt in China«.

Einzig Mercedes-Benz konnte sehr viel stärker als der Markt zulegen und steigerte seine Verkäufe bis Juli um 24,2 Prozent. Die Aufholjagd der Schwaben gegenüber BMW und Audi nimmt somit Fahrt auf.

Für die deutschen Autobauer hat sich China in den vergangenen Jahren zu einem Schlüsselmarkt entwickelt. Volkswagen spricht sogar von seiner »zweiten Heimat«. Mit 3,67 Millionen verkauften Neuwagen war das Land im Jahr 2014 zum wiederholten Mal der mit Abstand größte Einzelmarkt des Wolfsburger Herstellers. Der Anteil am Konzerngewinn, so schätzen Fachleute, liegt bei mehr als 30 Prozent.

Arndt Ellinghorst, Autoexperte beim Analysehaus Evercore ISI in London, hält es auf Grundlage eigener Berechnungen sogar für denkbar, dass aktuell rund 60 Prozent des Konzern-Nettoergebnisses in China erwirtschaftet werden. Was ein Einbruch dort bedeuten würde, formulierte er vor einigen Monaten gegenüber der »Zeit«: »Ohne China wäre VW, wie die gesamte deutsche Autoindustrie, nicht überlebensfähig.«

Auch aktuelle Zahlen der Unternehmensberatung Ernst & Young weisen in diese Richtung. Danach hat VW im zweiten Quartal dieses Jahres 36 Prozent seiner Autos in China verkauft, bei BMW waren es 20 Prozent, bei Daimler immerhin noch 16 Prozent. Und alle drei Unternehmen planen für die kommenden Jahre weitere Investitionen in neue Produktionskapazitäten. Zusammengenommen geht es um einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag. Die Abhängigkeit nimmt also noch weiter zu.

Dabei ist die ökonomische Situation in China derzeit alles andere als stabil, mit zum Teil erheblichen Folgen für die Automobilindustrie. Denn zum einen haben die jüngsten Kursverluste am Aktienmarkt die potenziellen Käuferschichten ebenso gebeutelt, wie die mehrfache Abwertung des Yen die Importe spürbar verteuert hat.

Damit einher ging bei der Bevölkerung der Eindruck, die Partei- und Staatsführung sei kaum mehr in der Lage, die Dynamik der Wirtschaft wirklich zu beherrschen. In Zeiten der Unsicherheit aber sitzt der Geldbeutel längst nicht mehr so locker wie in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten der Prosperität.

Zum anderen hat China inzwischen mehr Autobauer und Produktionskapazitäten als jedes andere Land der Welt aufgebaut. Neben den internationalen Konzernen buhlen über 30 chinesische Marken um Kundschaft. Wachstumsraten im nur noch einstelligen Bereich werden aber nicht ausreichen, um diese immensen Kapazitäten nachhaltig auszulasten. In der Konsequenz wird es zu Rabattschlachten und einem massiven Verdrängungswettbewerb kommen, den die internationalen Hersteller aufgrund ihrer Kostenstruktur kaum gewinnen können - es sei denn, sie ändern ihre Strategie und exportieren zukünftig Fahrzeuge von China aus in andere Märkte und Regionen, etwa nach Ost- und Südeuropa.

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