nd-aktuell.de / 03.09.2015 / Kommentare / Seite 16

Kürzer durch 
Industrie 4.0

Marcus Schwarzbach ist sich sicher, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt menschliche Arbeit ersetzen wird

Marcus Schwarzbach

Niemand kann mit Gewissheit sagen, wie Industrie 4.0 flächendeckend aussehen wird. Bei aller Unklarheit über die konkreten Auswirkungen der digitalen Arbeit ist bereits jetzt sicher, dass die Technik menschliche Arbeit ersetzen wird. Der Vorstand des Volkswagen-Konzerns Horst Neumann prognostiziert, dass durch die Robotisierung mittelfristig taktgebundene Arbeit wegfällt, die noch etwa die Hälfte in der Produktion ausmacht. Eine viel beachtete Studie von Carl Frey und Michael Osborne untersucht für die USA, ob durch Automatisierung nicht nur Arbeitsplätze in der Produktion betroffen sein könnten, sondern andere Dienstleistungsbereiche darunter fallen. Die Studie ergab, dass 47 Prozent des Beschäftigungsvolumens in den USA in den nächsten 10 bis 20 Jahren stark anfällig sei, durch Maschinen und Computer ersetzt zu werden.

Um sinkendes Arbeitsvolumen zumindest betrieblich auffangen zu können, kann die gewerkschaftliche Schlussfolgerung hier nur die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung sein. Aber auch der steigende Leistungsdruck durch die neue Technik ist ein Argument für Verkürzung der Arbeitszeit. Stärkere Schwankungen in der Produktion sollen durch Industrie 4.0 besser bewältigt werden. Stefan Ferber von Bosch benennt klare Forderungen aus Unternehmenssicht: »Was bringt es mir, wenn ich eine Fabrik habe, die mir bei 98 Prozent Auslastung den besten Profit sichert, ich aber überhaupt nicht vorhersagen kann, was im nächsten Monat verkauft wird?« Man müsse Fabriken bauen, die die Schwankungen bewältigen und zwar »in Echtzeit«. »Industrie 4.0 sollte man hier als Chance sehen«, so Ferber.

Technik kann Arbeitnehmern zur Vorbereitung, Ausführung und Entscheidungsunterstützung der Arbeit dienen – sie kann aber auch den Arbeitnehmern vorgegebene Arbeitsweisen aufzwingen und erfordert ein hohes Maß an Anpassung. »Der Mensch wird für die Produktion der Zukunft eine große Rolle spielen. Menschen werden mit mobilen Endgeräten, sogenannten Smart Devices, in die Industrie 4.0 eingebunden«, so der Dortmunder Professor Michael ten Hompel.

Die Einbindung der Beschäftigten über mobile Endgeräte führt zu einer enormen Verschärfung des Arbeitsdrucks. Jeder Schritt kann überwacht werden, Arbeiter sind – wie beim Versandkonzern Amazon – stets lokalisierbar und so beobachtbar. Auch die Kontrolle der Arbeiter wird verstärkt. Der Technikeinsatz erfordert eher eine Begrenzung der Arbeitszeit, um den Stress nicht weiter auszuweiten.

»Bei Tarifrunden haben wir eine hohe Beteiligung. Aber wir müssen die Beschäftigten auch täglich in den einzelnen Betrieben einbeziehen«, hat der designierte IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann erklärt. Die Diskussionen zur Arbeitszeit in der Industrie 4.0 werden da zur ersten Bewährungsprobe.