Schleichend in den Sicherheitsstaat

Zwei frühere CIA-Mitarbeiter agierten einst im Zentrum der Macht der USA. Jetzt warnen sie vor ihr

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Die früheren CIA-Mitarbeiter Ray McGovern und Elizabeth Murray wissen, was man mit Geheimdienstinformationen anrichten kann. Und sie weisen Vorwürfe von »Verschwörungstheorie« zurück.

Nach den unzähligen erwiesenen Lügen wie den »Massenvernichtungswaffen« Iraks: »Ich habe keinen Anlass, der offiziellen Version meiner Regierung zu glauben«, erklärte Murray am Montagabend in einer Veranstaltung mit dem Titel »Die Rolle von Geheimdiensten in der Außenpolitik«, zu der die Kampagne Cyberpeace des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung in die Universität Hamburg geladen hatte. Er »hasse den Begriff Verschwörungstheorie«, kritisierte McGovern den inflationär gebrauchten Vorwurf, der heutzutage allen Kritikern der Kriegspolitik westlicher Regierungen entgegengeschleudert werde. »Ich ziehe den Hut vor allen, die herausfinden wollen, was wirklich geschah«, so McGovern, der weiterhin auf einer »unabhängigen Untersuchung« besteht.

Ray McGovern war 27 Jahre als Analyst für die CIA tätig, auf die Sowjetunion spezialisiert und unter sieben US-Präsidenten für das morgendliche Briefing zuständig. Nahost-Expertin Elizabeth Murray arbeitete im National Intelligence Council. Heute sind die beiden die führenden Köpfe der Veteran Intelligence Professionals for Sanity, einer Organisation gegen den Missbrauch von Geheimdienstinformationen. 2014 hatten sie Bundeskanzlerin Merkel in einem Offenen Brief vor gefälschten Beweisen einer russischen Invasion in der Ukraine gewarnt, die als Kriegsvorwand eingesetzt werden könnten.

McGovern und Murray, die auch die Kampagne »Stopp Ramstein: Kein Drohnenkrieg!« unterstützen, sezierten in ihrem Vortrag nicht nur das Lügennetz, mit dem der Irakkrieg vorbereitet wurde, und würdigten die Enthüllungen von Edward Snowden, den McGovern und drei andere Whistleblower 2013 in Moskau besucht hatten. McGovern kommentierte auch das Thema, das Deutschland momentan am meisten bewegt: Es werde sehr viel über die »Flüchtlingsflut« geredet, aber nicht über deren Ursachen. »Das hat keinen Sinn«, führte McGovern im Gespräch mit »nd« aus. »Mindestens vier Millionen Flüchtlinge aus Irak, mindestens vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien - das ist doch eine Tragödie.« Aber von den deutschen Leitmedien werde »der Zusammenhang mit den Kriegen unterschlagen, die unter falschem Vorwand verursacht und deren wahre Gründe alle mit Öl und den Interessen Israels zu tun haben«. Dessen Regierung gebe sich der Illusion hin, Militäroperationen würden den Nahen Osten sicherer machen. »Das ist kurzsichtig«, warnte McGovern. »Das kann vielleicht ein, zwei Jahre funktionieren, aber nicht mittel- und langfristig. Wenn Sunniten und Schiiten sich bekriegen, dann wird Israel die Auswirkungen dieses Gewaltausbruchs zu tragen haben.«

McGovern und Murray kritisierten auch die schleichende Entwicklung der USA zum autoritären Sicherheitsstaat und die Anwendung und Rechtfertigung von Folter. McGovern warf die Frage auf, wie viele Terroranschläge durch die drakonischen Überwachungsmaßnahmen der NSA und anderer Geheimdienste verhindert worden seien, und trug die Ergebnisse vor, die die Verantwortlichen einräumen mussten: Mutmaßlich zwei. Davon gilt ein Fall als bewiesen: »Ein Taxifahrer aus San Diego hat seinem Cousin in Somalia, einem Mitglied von Al-Shabaab, 8500 Dollar geschickt.« Der »unglaubliche Erfolg«, den Keith B. Alexander, bis 2014 Direktor des NSA, seinen eigenen Methoden bescheinigt hat, so McGovern, »ist Fiktion«.

»Wären wir jetzt in den USA, könnte Soldaten der Befehl erteilt werden, Elizabeth und mich nach Guantanamo zu bringen«, sagte der 76-Jährige, der vergangenes Jahr von der New Yorker Polizei willkürlich festgenommen und misshandelt worden war. Damit spielte McGovern auf das National Defense Authorization Act an. Mit diesem Gesetz wurden 2013 Teile der amerikanischen Verfassung außer Kraft gesetzt und das Militär ermächtigt, »terrorverdächtige« US-Bürger unbegrenzt, ohne anwaltliche Vertretung und richterliche Kontrolle zu inhaftieren. »Das kann«, gab McGovern zu bedenken, »eines Tages auch in Deutschland eingeführt werden.«

Am Mittwochabend sprechen Ray McGovern und Elizabeth Murray in Berlin, 19.30 Uhr, Sprechsaal, Marienstrasse 26

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