Licht im Dunkeln

Musikfest Berlin: DSO mit Arnold Schönbergs «Die Jakobsleiter»

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Full House in der Philharmonie zum Einstieg des Deutschen Symphonieorchesters (DSO) in die neue Saison. Mit Xenakis, Mahler und Schönberg, drei der Großen, welche die Moderne nachhaltig geprägt haben. Keine bessere Gelegenheit hierfür als das Musikfest Berlin, das jahraus, jahrein im September nicht davon ablässt, die besten Programme der Welt zu liefern. Oder kennt jemand bessere?

Dem genialen Gestalter Winrich Hopp ist das in erster Linie zu verdanken, mit ihm freilich der Schar seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie alle organisieren Jahre vorweg, was dann aktuell auf den Podien laut wird, während die nächsten Unternehmungen schon in Vorbereitung stehen. Angesichts der sprichwörtlichen Starre des Konzertbetriebs und der Mühen, gewünschte Programme mit Orchestern, Ensembles und Solisten international abzustimmen, ist es kein Zuckerlecken, stimmige, geschichtlich fundierte Konzertideen durchzusetzen. Erstaunlich, wie viel davon das Musikfest gleichwohl einbringt.

Dasselbe geht in diesen Tagen zu Ende und damit die zahlreichen, zum Hauptgeschäft gehörenden Konstellationen, die es hörbar gemacht hat und dies noch tut. Streichquartette von Beethoven und Schönberg zusammenzubinden, ist schon häufig gemacht worden, Dass Quartette Carl Nielsens und Beethovens gleichfalls sinnvoll korrelieren können, ist der hiesigen Konzertöffentlichkeit eher weniger bekannt. The Danish String Quartet musizierte. Anlass: der 150. Geburtstag des dänischen Komponisten gehört zu den Schwerpunkten. Sinfonik und Kammermusik von Nielsen an sechs Abenden verzeichnete das Programm, einer steht noch bevor. Nicht dabei Jean Sibelius, dessen 150. Geburtstag im November ansteht. Das wäre wohl zu dicke romantisch gekommen. Außerdem: Simon Rattle hat alle Sinfonien des Finnen mit seinen Philharmoniker die Saison über eingespielt. Geballt die 15 Konzerte mit Kompositionen von Schönberg. Von der Kammersinfonie Nr. 1 über «Die Erwartung» bis «Die Jakobsleiter» allesamt so grandiose wie zeitlose Kompositionen, vom Publikum eher dankbar angenommen als rigide abgelehnt.

Lebende Zeitgenossen, musiziert von hochkarätigen Klangkörpern aus Europa und der Welt, fehlten nicht. Neben den US-Amerikanern Steve Reich und John Adams auch der Däne Per Norgard, die Briten Harrison Birtwistle und Brian Ferneyhough, die Deutschen Matthias Pintscher wie der Vielschreiber und -redner Wolfgang Rihm, der lächerlicherweise immer dabei ist, nicht zuletzt Georg Friedrich Haas, der mit «Limited aproximations» für sechs im Zwölftonabstand gestimmte Klaviere und Orchester an eine ähnlich konzipierte Klaviermusik von Wischnegradski anknüpfte.

Höhepunkt unbestritten der Abend mit dem Deutschen Symphonieorchester unter Ingo Metzmacher. Das Gewaltstück «Shaar» von Iannis Xenakis eröffnete. Dann Mahlers die Sinne nässenden «Kindertotenliedern» auf Gedichte von Friedrich Rückert und Schönbergs ins Mystisch-Kosmische hinaufführende «Jakobsleiter». Eine stichhaltige, sehr konträre Kompositionsmittel versammelnde Konstellation.

Alle drei Werke suchen der Dunkelheit Licht abzugewinnen. Uralter Topos, allerdings nicht zu verwechseln mit dem «per aspera ad astra» des klassischen Zeitalters. Bei Xenakis geschieht dergleichen in jähen Kontrasten, niederschmetternd in den «Kindertotenliedern» und voller Hoffnung in der «Jakobsleiter». Mit Wucht hebt Inannis Xenakis’ «Shaar» (Tor) für großes Streichorchester an, steigerte diese noch und endet in sensibelsten Bezirken des Streicherklangs. Gebirge von Klängen recken sich und erzeugen Spannungen, von denen minderbegabte Komponisten nur träumen, sie allenfalls schlecht kopieren. Bis ins Letzte ausgeklügelt die Dramaturgie dieser Musik. Am Ende wie bei den übrigen Werken ist Stille. Altistin Wiebke Lehmkuhl gab den «Kindertotenlieder» nicht durchweg das, was ihnen eingeschrieben ist. Es fehlte vor allem Textverständlichkeit. Allein das hoffende, heitere Züge nicht entbehrende vorletzte Lied «Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen» gelang hundertprozentig. Das letzte Lied «In diesem Wetter» schließt in unendlicher Zartheit.

Ganz stark musiziert und gesungen Schönbergs Fragment gebliebenes Oratorium nach eigenem Text. Die Besetzung ist riesig: Orchester, Chöre, Subchöre, die aufsplittern und wie Instrumentalgruppen sich neu im Raum formieren, diverse Solisten (Gabriel, Ein Aufrührerischer, Ein Berufener, Ein Ringender, Der Auserwählte, Der Mönch, Der Sterbende, Die Seele). Soloinstrumente und -stimmen treten auf.

Anne Kohler, sie studierte den Rundfunkchor Berlin ein, holte aus dem Klangkörper noch das Letzterdenkliche raus. Unerhört wirksam der Anfang, wo der Chor in vielen Gruppen ein babylonisches Gewirr so aus sich herausbringt, dass einem beim Hören die Haut friert. Nicht minder, wenn orchestrale Teile in die Erzählung wütend dreinfahren. Oder Kantilenen anstimmen, wie beim «Gleichgültigen», der in seinem Hinaufstreben fragt «»Immer weiter, warum nicht?« Nachdem zuletzt die himmelwärts entrückten Sologeigentöne verklungen sind, setzt zur Verblüffung der Anwesenden eine raffiniert arrangierte, die Höhen füllende Raummusik ein, wie sie wohl nur im Großen Saal der Philharmonie so plastisch gelingen kann. Ein wahrlich bedeutender Abend.

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